Patrizierfamilien am LémanAuf den Spuren nobler Berner Winzer in der Waadt
Sie heissen de Watteville und von Fischer, wohnen in den Schlössern ihrer adligen Vorfahren und betreiben an den sonnigen Hängen des Genfersees Weinbau.

De Fischer heisst das Rebgut in Bougy-Villars an der Côte hoch über dem Genfersee. Den Namen hat es von der Berner Patrizierfamilie von Fischer, deren bedeutendster Vertreter Beat von Fischer war, geboren 1641 und im 17. Jahrhundert Gründer der Berner Post. Die heutigen Besitzer heissen allerdings nicht mehr so, doch die Mutter von Hans-Beat Ris-Stettler war noch eine von Fischer. Zusammen mit seiner Frau Binia bewirtschaftet der pensionierte Thoraxchirurg heute das 7,5 Hektaren grosse Rebgut.
An der Weinfachschule
Binia Ris-Stettler hatte ursprünglich die Berner Fachhochschule für Sozialarbeit absolviert und Ethnologie studiert. An der Weinfachhochschule Changins erwarb sie das «Diplôme de commerce de vin».
So beschreibt es Andreas Z’Graggen in seinem Buch «Wein Schlösser Adel – über noble Winzer und ihre charmanten Châteaux in der Schweiz». Die Winzerin sei eine unkomplizierte, energiegeladene Frau, schreibt er, «die überall Hand anlegt, wos gerade was zu tun gibt. Sie organisiert die Degustationen, betreibt den Direktverkauf ab Domaine und trägt die Weinkartons notfalls gleich selber ins Auto des Kunden.»

Andreas Z’Graggen ist Publizist und war unter anderem 1996 bis 2005 Chefredaktor der «Berner Zeitung». Bereits 2018 machte er in einem Buch darauf aufmerksam, dass es in der Schweiz neben Bauern und Hirten, Industriellen, Bankiers und Ingenieuren durchaus auch Adlige gab und deren Nachkommen nach wie vor unter uns leben. Er besuchte die von Hallwyl im Aargau, die Pfyffer im Luzernischen, die von Wattenwyl im Bernbiet, die de Saussure in Genf und die von Salis im Bündnerland.
Adlige im Land der Hirten und Industriellen
Er stellte ihre Protagonisten aus den verschiedenen Zeiten vor und unterhielt sich mit ihnen über das Verhältnis zur Familientradition in einem Land, das Wert darauf legt, sich bereits im Mittelalter vom Joch ebendieses Adels befreit zu haben.
Inzwischen hat Z’Graggen seine Erkundungen mit einem neuen Fokus fortgesetzt: Diesmal galt das Interesse den Schlossbesitzern, die auch Rebberge besitzen. Er holte dafür Markus Gisler mit ins Boot, ebenfalls Publizist, aber nicht nur mit Texten bewandert, sondern auch Fotograf. Dieser steuerte zum Buch die Landschafts- und Porträtfotografien bei. Insgesamt 36 Schlösser, Landsitze und ihre Besitzer machten die beiden in den letzten beiden Jahren ausfindig. Sie besuchten sie zum Teil mehrfach, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, wie sie betonen.
Ein eigenes Kapitel widmen sie den Berner Sitzen in der Waadt wie eben dem Rebgut de Fischer in Bougy-Villars. Gekeltert wird dort unter anderem ein Chasselas Premier Grand Cru – ein Prädikat, das eine Jury des Kantons nur einem guten Dutzend Weingütern verleiht. Dafür müssen die Trauben von Hand geerntet werden, die Menge, die pro Quadratmeter geerntet werden darf, wird eng eingeschränkt. Zudem muss das Weingut eine stets gleichmässig hohe Qualität garantieren. Das wird jedes Jahr mit einer Degustation kontrolliert.
Ehemaliges Untertanengebiet
Die Berner Aristokraten in der Waadt sind eine Folge der Tatsache, dass die Aarestadt den heutigen Kanton 1536 eroberte und bis 1798 als Untertanengebiet besass. Und weil die Schweiz ihre Adligen in der Revolutionszeit um 1800 nicht nur am Leben liess, sondern auch ihren Besitz nicht enteignete, wirkt diese Zeit bis heute nach.
Die Waadt und insbesondere ihre Uferregion am Genfersee ist heute der Inbegriff eines Schweizer Weinbaugebiets. Lange nicht überall geht diese Tradition jedoch bis ins 16. Jahrhundert zurück. So kamen die von Fischer erst 1872 zum Rebgut in Bougy-Villars, dem sie heute den Namen geben. Käufer war Karl Ludwig von Fischer, bernischer Regierungsrat und 1848 bis 1851 einer der ersten Nationalräte.

Erst auf den zweiten Blick wird die Berner Spur in Montbenay zwischen Rolle und Mont-sur-Rolle sichtbar. Dafür sind die von Wattenwyl dort noch selbst im Weingut anzutreffen, wenn auch ihr «von» zum französischen «de» geworden ist, das «wyl» zu «ville». Paul, Maurice und Rodolphe de Wattville bauen den grössten Teil ihrer Weine nicht in Fässern aus, sondern in 32 Terrakotta-Amphoren aus dem Roussillon in Frankreich. Die 160 Liter fassenden Tongefässe wurden von Hand auf traditionellen Töpferscheiben gedreht und aus drei Teilen zusammengesetzt.
Ganz ohne Holzkontakt gelagert, aber doch nicht hermetisch verschlossen wie in Stahltanks, könnten die Weine so ihre Fruchtigkeit voll entfalten, verriet Maurice de Watteville den beiden Buchautoren. Der Vater und die beiden Söhne betreiben ein eigenes Rebbaumuseum. Gezeigt werden alte Werkzeuge, Pressen und Gefässe – zum Beispiel ein gewaltiges Eichenfass aus dem Jahr 1771, gebaut von einem Küfer aus der Pfalz. Es fasst 11’750 Liter und wird nach wie vor gebraucht.

Die Domaine de Belletruche gleich oberhalb von Montbenay war sogar Rudolf von Tavel eine Erwähnung wert. In «Ja gäll, so geit’s!» lässt der Mundartdichter des Stadtberner Adels eine der Personen sagen: «Euch gange d’Ouge de uuf, wenn de der Franzos im Belletruche-Chäller wirtet» – eine Anspielung auf den drohenden Einfall der französischen Armee am Ende des Ancien Régime. Mit Jean-Jacques und Burkhart von Erlach gehört das Rebgut nach wie vor zwei Brüdern aus diesem Berner Adelsgeschlecht.

Ebenfalls Wurzeln in der Aarestadt hat die Familie von Caroline de Wurstemberger im benachbarten Rebgut de Hautecour. Sie ist gelernte Bildrestauratorin und arbeitete in Florenz, war Delegierte des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes in Afrika und Asien, wo sie den Auftrag hatte, durch Kriege zerstreute Familien zusammenzuführen. Als sie das elterliche Weingut übernehmen konnte, bildete sie sich dafür an der Weinbauschule in Changins aus.
Caroline de Wurstemberger ist Gründungsmitglied der International Association of Women in Wine. Bewusst wählte sie für ihre drei Hektaren Reben den Namen Domaine Les Dames de Hautecour, weil das Gut über Jahrhunderte jeweils von Mutter zu Tochter vererbt wurde. Bereits steht fest, dass ihre Tochter diese Tradition fortsetzen wird.

Berner Spuren gibt es auch in der Domaine de Riencourt in Bougy-Villars. Sie wurde 1950 von Hans Frick gekauft, promovierter Historiker, Korpskommandant und Ausbildungschef der Armee. Seine Frau Ester von Mülinen stammte aus dem bernischen Patriziat – eine Herkunft, auf die die heutigen Besitzer, Lancelot, Philibert und Tanja Frick, grossen Wert legen. Von Familie Frick wieder instand gestellt, gehöre Riencourt heute zu den schöneren Domaines der Côte, schreiben die beiden Buchautoren.
Nicht alle Berner Patrizier waren in der Waadt Fremdlinge. Das galt zum Beispiel für die Familie von Rudolf von Tavel, die in Vevey zu den führenden Geschlechtern gehörte und nach Bern wechselte, nachdem die Aarestadt ihr Territorium über die Sprachgrenze ausgedehnt hatte. Ihr gehörte das Schloss Denens bei Morges. Durch Erbschaft gelangte dieses 1796 an die Familie von Büren.

Er fühle sich manchmal auch als Gefangener dieses Erbes, vertraute der heutige Schlossbesitzer, Pierre de Buren, den Buchautoren an. Ihm sei durchaus bewusst, dass seine Vorfahren oft auf Kosten ihrer Untergebenen gelebt hätten. Weil er sich von seinen Ahnen nicht dauernd beobachtet fühlen will, hat er ihre Porträts in den Wehrturm verbannt.
Tröpfchenweise zum Tokajer aus der Waadt
Als Exklusivität produziert der unkonventionelle Schlossherr einen Rosinen-Chasselas. Überlassen wir zum Schluss für die Beschreibung des Herstellungsprozesses das Wort den beiden Buchautoren: «Für seinen Chasselas Passerillé lässt Pierre de Buren die Trauben ein Jahr lang austrocknen, wodurch sich darauf der aus dem Sauternes bekannte Schimmelpilz Botrytis ausbreitet. Nach einem Jahr werden die getrockneten Trauben mit Chasselas-Most wieder aufgeweicht und fermentieren während sechs Monaten. Danach wird die so entstandene Maische in einem langwierigen Prozess während rund sechs Monaten vorsichtig gepresst, sodass der gewonnene Saft nur tröpfchenweise herausperlt. Daraus entsteht eine Art Trockenbeerenauslese, die dem ungarischen Trockenwein Tokajer nicht unähnlich ist.»
«Wein Schlösser Adel – über noble Winzer und ihre charmanten Châteaux in der Schweiz». 89 Franken. Weber Verlag, Thun.
Fehler gefunden?Jetzt melden.