Ausbruch aus der Warteschlange
Dem US-Amerikaner William Conescu ist mit seinem ersten Roman «Der Mann in der Schlange vor der Kinokasse» ein amüsantes Verwirrspiel um die verschiedenen Ebenen von Fiktion und Realität gelungen.

Daniel Fischer ist einunddreissig und zunehmend genervt von seinem glamourlosen Leben. Seit zehn Jahren weiss er, dass seine Welt einzig und allein der Vorstellung eines Autors entspringt. Gegen ein Leben als Romanfigur hat er an sich nichts einzuwenden – prinzipiell liegt für ihn ja alles drin: Spannung, Abenteuer, Liebe, Sex. Auch das gesellschaftliche Umfeld, das der Autor für ihn gewählt hat, das Boston der gebildeten Middle Class, ist ein vielversprechender Handlungsort. Doch der Autor denkt sich partout Geschichten aus, in denen Daniel nur am Rande vorkommt: Als Statist, der sich im Hintergrund einen Drink genehmigt oder als der Mann in der Schlange vor der Kinokasse. Und obwohl er sich nach Kräften bemüht, ein interessanter Charakter zu sein, übersieht ihn der Autor Buch für Buch. Held gegen Autor«Being Written» («Geschrieben worden») lautet der treffende Originaltitel des Romans. Hier scheint die Unzufriedenheit ganzer Generationen literarischer Nebenfiguren mitzuschwingen, die gegen ihre Unmündigkeit und ihr Schicksal als Staffage demonstrieren. Auch Daniel frustriert das Abhängigkeitsverhältnis zu seinem Schöpfer zutiefst. Seit Monaten hat er nicht mehr das charakteristische Schreibgeräusch des Autors gehört – ob der Schriftsteller ihn am Ende gar aus seinem Figurenfundus entfernt hat? Daniel bleibt nichts anderes übrig, als jeden Morgen zur Arbeit zu gehen, Zeit totzuschlagen, nach aussen ein ganz normales Leben zu führen. Spannend und urkomischAm Tag, der schliesslich alles verändert, sitzt Daniel wie meistens bei einem Bier mit dem Notizbuch in einer Bar und grübelt über langweiligen Marketingstrategien für eine Unternehmensberatung. Als eine junge Frau die Bar betritt, hört er, wie der Autor den Stift aufs Papier setzt und zu schreiben beginnt. Diese Chance auf literarisches Rampenlicht kann Daniel nicht ungenutzt verstreichen lassen. Ab jetzt zählt für ihn nur eins: Was kann er tun, um im Spiel zu bleiben? Mit welch tödlichem Ehrgeiz und kühner Raffinesse Daniel um die Gunst seines Autors buhlt, ist hochspannend zu lesen. Kein Wunder, denn Autor William Conescus Taktik ist raffiniert: Von Beginn weg drängt er den Leser in die Rolle des jungen Mannes und schickt auf diese Weise beide, Figur und Leser, gegen den Autor ins Feld. Zusammen mit Daniel denkt man sich die hinterlistigsten Täuschungsmanöver aus, um den mächtigen Schreiberling im Hintergrund auszutricksen. Der Mann in der Schlange vor der Kinokasse ist subversive Schreibkunst: doppelbödig, intelligent und ungeheuer komisch.
William Conescu: Der Mann in der Schlange vor der Kinokasse. Roman. Aus dem Amerikanischen von Patricia Klobusiczky. Aufbau-Verlag Berlin. 213 Seiten.
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