
ausland
Im Widerstand gegen Merkel
Der Chef des deutschen Inlandgeheimdienstes stellt sich gegen die Kanzlerin. Seine Einschätzung zu Chemnitz musste er aber korrigieren.
Die Ereignisse in Chemnitz und Köthen haben Deutschland aufgeschreckt. Doch Rechte gehen überall auf die Strasse, wie eine Karte zeigt.
Die rechte Szene geht immer wieder auf die Strasse: Demonstranten der Kundgebung «Pro Chemnitz» in der gleichnamigen Stadt.
(Bild: Keystone)
Die ausländerfeindlichen Krawalle in Chemnitz haben schonungslos offengelegt, dass Deutschland ein Problem mit Rechtsextremismus hat. Tausende Demonstranten aus dem rechten Spektrum waren Ende August in der sächsischen Stadt aufmarschiert, hatten «Hetzjagden» auf ausländisch aussehende Menschen gemacht und ein jüdisches Restaurant attackiert. Die Polizei sprach von einer «offensichtlich bundesweiten Mobilisierung» und war während Tagen überfordert.
In Köthen, Sachsen-Anhalt, machten es die Behörden besser, konnten aber auch nicht verhindern, dass 400 bis 500 Rechtsextreme an einem «Trauermarsch» teilnahmen. In der Nacht zum Sonntag war dort ein 22-jähriger Deutscher nach einem Streit mit zwei Afghanen an Herzversagen gestorben. Am Montagabend schliesslich mobilisierte die rechte Szene ihre Anhänger für einen Protestzug in der nahen Stadt Halle. Laut Polizei wurde mehrfach der Hitlergruss gezeigt und von einigen der rund
Nicht nur Ostdeutschland
Die Bundesländer Sachsen und Sachsen-Anhalt sind nicht die einzigen, die ein Problem mit offenem Rechtsextremismus haben. Zwischen Juli 2013 bis Juni 2018 – also noch vor den jüngsten Ereignissen – kam es fast überall in Deutschland zu rechten Aufmärschen. Dies zeigt eine Auswertung der «Berliner Morgenpost», die alle Demonstrationen aufgelistet hat, die vom deutschen Bundesinnenministerium und den Behörden der Länder als zweifelsfrei rechtsextrem eingestuft werden.
Rechte Demonstrationen zwischen Juni 2013 und 2018 in Deutschland: Je grösser die Kreisflächen um die Orte, desto mehr Rechtsextreme sind dort in diesem Zeitraum aufmarschiert. (Karte: Berliner Morgenpost)
Am meisten Rechtsextreme marschierten in diesem Zeitraum in Berlin auf. Fast
Im Vergleich der Bundesländer landet Berlin aber nur im Mittelfeld. Die meisten rechten Aufmärsche hat es zwischen 2013 und 2018 in Thüringen gegeben, mit
Trotzdem ist offener Rechtsextremismus gemäss der Auswertung kein alleiniges Ost-Problem. Nordrhein-Westfalen landet mit rund
Fast die Hälfte aller Aufmärsche, welche die «Berliner Morgenpost» aufgelistet hat, fällt in das Jahr der Flüchtlingskrise 2015. Danach nahm die Zahl der Teilnehmer bundesweit wieder ab. 2017 wurden in ganz Deutschland gut 15’000 rechte Demonstranten gezählt, weniger als 2014 vor der Flüchtlingskrise mit knapp 21’000.
In der Auswertung wurden allerdings nur Ereignisse bis Ende des ersten Halbjahres 2018 berücksichtigt. Die Kundgebungen in Chemnitz, Köthen und Halle, bei denen insgesamt Tausende Demonstranten aus dem rechten Lager auf die Strasse gingen, sind noch nicht erfasst.
Klima der Angst
Viele in Deutschland befürchten, dass es in den kommenden Wochen und Monaten noch häufiger zu Aufmärschen von Rechtsextremen kommen dürfte. Das könnte nicht nur politische, sondern auch wirtschaftliche Folgen haben.
Josef Sanktjohanser, Präsident des deutschen Handelsverbandes, warnte in einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel vor einem «hysterischen Klima der Angst». Ausländische Fachkräfte könnten abgeschreckt werden. «Alle, die das Bild eines toleranten Deutschlands stören, gefährden erheblich unser Zusammenleben und auch den Wirtschaftsstandort», schrieb Sanktjohanser.
Tages-Anzeiger
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