«Barcelona, ein Zentrum jihadistischer Netzwerke»
Die Anschläge von Barcelona waren Terror mit Ansage. Antworten auf sechs Fragen zur neusten IS-Attacke in Europa.
Der islamistische Terror hat Spanien mehr als 13 Jahre verschont. Jetzt hat er in Barcelona und Cambrils zugeschlagen. Warum? Und wie stark ist der Jihadismus in Spanien?
Seit dem letzten Jahrzehnt entstand in Katalonien und seiner Hauptstadt Barcelona eine islamistische Szene mit Moscheen, wo radikale Prediger auftreten und Menschen radikalisiert werden. Gemäss Erkenntnissen von US-Geheimdiensten, die über Wikileaks bekannt wurden, ist Katalonien die wichtigste Operationsbasis für radikale Islamisten im Mittelmeerraum. Katalonien verbindet ausserdem die radikalislamischen Szenen des Maghrebs und Frankreichs. Neben Barcelona und Umgebung gelten die spanischen Nordafrika-Exklaven Ceuta und Melilla als Brennpunkte des Radikalislamismus in Spanien. Im Januar 2008 hatte die Polizei in Barcelona eine Gruppe islamistischer Terroristen zerschlagen, die einen Anschlag auf die U-Bahn der Mittelmeermetropole plante. «Seit dem grossen Anschlagsplan von 2008 ist man sich bewusst, dass gerade Barcelona und Umgebung ein Zentrum für jihadistische Netzwerke ist», sagt Peter Neumann, Terrorexperte, der am King's College in London lehrt.
In Katalonien haben die Sicherheitsbehörden grosse Anstrengungen unternommen im Kampf gegen die islamistische Terrorgefahr. Die katalanische Polizei nahm allein in den letzten zwei Jahren rund 200 mutmassliche Islamisten fest. Sie konnte in Barcelona auch mehrere Terroranschläge verhindern, wie Neumann sagt. Da eine lückenlose Überwachung von Gefährdern nicht möglich ist, können Attentate nicht immer verhindert werden. Meistens stellt sich heraus, dass die Terroristen polizeibekannt gewesen waren. Seit den verheerenden Anschlägen von Madrid im Jahr 2004 startete die spanische Polizei landesweit 220 Anti-Terror-Operationen und nahm 723 mutmassliche Jihadisten fest. Die Tendenz ist steigend. Allein seit Anfang 2017 gab es 36 Polizeiaktionen dieser Art, genauso viele wie im gesamten Jahr 2016.
Bei den Anschlägen in Katalonien sind mindestens 13 Menschen getötet worden. Video: Reuters
Gemäss einem Bericht der «Huffington Post» haben seit 2014 28 identifizierte Täter 15 islamistische Mordanschläge in der EU verübt. Dabei waren 27 Attentäter den Behörden zuvor bekannt und hatten Kontakte in die islamistische Szene. Ein Dauerproblem ist die ungenügende grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden in Europa, insbesondere was den Datenaustausch anbelangt.
Gibt es Hinweise auf ein Versagen der Sicherheitsbehörden Kataloniens?
Solche Fragen stellen sich immer, wenn Attentate gelingen. Kurz danach können sie nicht befriedigend beantwortet werden. Allerdings berichtet die Zeitung «El Periódico», dass der US-Geheimdienst CIA die spanische Polizei vor zwei Monaten vor einem Anschlag in Barcelona gewarnt habe. Dabei habe der CIA explizit Las Ramblas als mögliches Ziel genannt. Für Terroristen ist Las Ramblas ein attraktives Ziel, gerade im Sommer, wenn es viele Touristen hat. Im Weiteren gibt es Medienberichte, wonach ein mit dem IS in Verbindung stehender Twitter-Account Hinweise auf Anschläge in Spanien gepostet hatte. Solche Tweets vom 30. Juli bemerkte auch die Expertin Rita Katz von der SITE Intelligence Group, die auf ihrer Website umfassend über Terrorismus berichtet.
In einem der Ankündigungs-Tweets aus dem IS-Umfeld heisst es: «Wir werden das Kalifat in Spanien errichten und unser Land zurückerobern. Attacke auf al-Andalus steht bevor, so Gott will.» Welche Rolle spielt Spanien in der IS-Ideologie?
Al-Andalus ist der arabische Name für die zwischen 711 und 1492 muslimisch beherrschten Teile der iberischen Halbinsel. Spanien ist Teil der Kalifatsfantasien der Jihadisten. Insofern hat Spanien eine wichtige Bedeutung in der IS-Ideologie. Bereits das Terrornetzwerk al-Qaida hatte seine Anhänger immer wieder dazu aufgerufen, mit Anschlägen in Spanien das Land für die Muslime «zurückzuerobern».
Steckt der IS hinter den Anschlägen in Katalonien?
Er reklamiert den Anschlag für sich, was er allerdings immer tut in solchen Fällen. «Soldaten» des IS hätten das Attentat verübt, liess das IS-Propagandasprachrohr Amaq verlauten. Die Art und Weise der Anschläge trägt jedenfalls die Handschrift des IS. Die Anschläge wurden vom IS orchestriert oder zumindest von ihm inspiriert.
Zu den Hintergründen der Anschläge in Katalonien ist noch wenig bekannt, ausser dass sich der IS zu ihr bekennt. Welche Strategie verfolgen die Jihadisten?
Das selbst ernannte IS-Kalifat in Syrien und im Irak ist praktisch am Ende. Das Territorium des IS schrumpft laufend. Der IS hat mit Mosul seine Hochburg im Irak verloren, dasselbe droht ihm in Syrien mit Raqqa. Angesichts der militärischen Niederlagen in Syrien und im Irak hat der IS seine Anhänger dazu aufgerufen, im Westen zu bleiben und dort gegen «die Ungläubigen» zu kämpfen, das heisst, Angst und Tod zu verbreiten. Mit Anschlägen will der IS europäische Gesellschaften polarisieren und radikalisieren. In der Hoffnung, dass sich Muslime, die sich ausgeschlossen fühlen, dem IS anschliessen. Die Attentate von Barcelona und Gambrils sind also Teil der europäischen Strategie der Jihadisten. In den vergangenen zwölf Monaten haben sich Anschläge in Europa denn auch gehäuft: Nizza, Berlin, London, Stockholm, nochmals London, Manchester und jetzt Barcelona. Bei den meisten Anschlägen setzten die Terroristen Lastwagen und Autos als tödliche Waffen ein. Terrorexperte Neumann nennt dieses Vorgehen der Jihadisten «eine Form von asymmetrischer Kriegsführung».
In welchen Ländern Europas ist die Terrorgefahr am grössten?
Die Zahl der Auslandskämpfer ist ein guter Indikator für den Radikalisierungsgrad der islamistischen Szenen in einzelnen Ländern und damit für die Gefahr von Terroranschlägen. Insofern ist die Terrorgefahr in Frankreich und Belgien am grössten, zumindest theoretisch. Zuschlagen können Terroristen überall, wie zuletzt in Spanien.
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