Zum Tod des Berner Musikers Boris PilleriDer Meister des Understatements
Mit dem Bluesmusiker Boris Pilleri ist nicht nur ein begnadeter Gitarrist gestorben, sondern auch die gute Seele der Berner Musikszene.

In der Musikszene sagen alle das Gleiche über ihn: dass er einer der besten Bluesgitarristen des Landes sei. Solche Lobgesänge waren ihm so gar nicht recht. «Ich habe nicht das Gefühl, richtig gut zu sein. Deshalb spiele ich auch heute noch jeden Tag Gitarre. Weil ich üben muss. Ich fühle mich immer noch begrenzt.»
Das sagte er letzten September, als wir ihn zum Gespräch über sein neues Album «The Blues Never Sleeps» trafen. Es war typisch für ihn. Was da aus ihm sprach, waren zum einen die Ängste und Zweifel des Autodidakten, zum anderen die herzerwärmende Bescheidenheit, die Boris Pilleri ausmachte.
Die gute Seele
Auch wenn es niemand so richtig zugeben mag: Es gibt eine Menge Neid in der Musikszene. Wenn heute vom Tod des Boris Pilleri berichtet werden muss, dann ist nicht nur von einem der besten Bluesmusiker die Rede, sondern auch von einem Mann, der ohne übertriebenes Pathos als die gute Seele dieser eitlen Szene bezeichnet werden kann. Einer, dem Missgunst und Argwohn fern waren, der alles registrierte, was in der hiesigen Musikszene geschah, und der jede Konzertankündigung einer Berner Band, jede Veröffentlichung mit einer gutgesinnten, persönlichen Nachricht quittierte.
Nicht nur, weil er wusste, wie viel Herzblut hinter jedem Album steckt, sondern eben auch, weil er ein herzlicher, interessierter, unverstellter und grossmütiger Mensch war. Ein Mensch, dem die Musik mehr war als flüchtige Berieselung. Sie war sein Lebensantrieb. Und im Blues fand er jene musikalische Heimat, in der er seiner Leidenschaft am ehesten Ausdruck verleihen konnte. «Natürlich ist der Blues harmonisch beschränkt», hat er einmal in einem Gespräch erklärt, «aber die Leidenschaft, die man in diese Harmonien packt, kennt keine Limiten. Ich war nie ein Blues-Traditionalist und habe mich nie bloss auf eine Facette des Blues beschränkt. Blues kann alles sein, mal himmeltraurig, mal witzig, mal ironisch oder tanzbar.»
Schnell, schneller, Pilleri
Seine unvergleichliche Karriere begann er im Jahr 1976. Da war er gerade mal 16 Jahre alt. Aufgewachsen ist er in Bolligen, als mittlerer von drei Brüdern. Seine ersten Konzerte spielte er im berüchtigten Club Klink. Damals nannte sich sein Trio noch Jammin’ the Blues und orientierte sich an Alvin Lee und dessen Band Ten Years After. Ein Bandname, der auch gleich sein musikalisches Credo erklärte. Er wollte den Blues nicht planen oder am Reissbrett entwerfen, er wollte ihn erspielen. Und so dauerte es ganze zwölf Jahre und Hunderte Konzerte, bis die Band ihren ersten Tonträger taufte.
Pilleris Spiel fiel sofort auf. So temporeich, so kraftvoll hatte hie ume schon lange keiner mehr gespielt – wenn überhaupt. Das sprach sich herum. Schnell wurde klar, dass dieser Musiker zu gut dafür war, sich auf Bern zu beschränken. Boris Pilleri und seine Jammin’, wie sich die Band bald nur noch nannte, eroberte Schritt für Schritt die grossen Bühnen und schaffte es mit der Zeit bis in die Vorprogramme von Grössen wie Albert Collins, John Mayall oder Eric Burdon.
Über die Jahre wechselte die Formation immer wieder, Musiker kamen und gingen, nur einer blieb und bluesrockte wie ein Wahnsinniger weiter: Boris Pilleri.
Die vielen Wechsel schadeten der Band nicht. Im Gegenteil. So richtig erfolgreich waren Jammin’ Ende der 1980er-Jahre, als der Schlagzeuger Tom Beck und danach die Bassisten Daniel Hänggi und Roland Sumi mit Pilleri den Blues mit Funk und Hardrock anreicherten. Einige damalige Alben erschienen gar bei der grossen Plattenfirma Polygram.
Freedom Festival 1990
Erfolgsgeheimnis war und blieb, dass Bori Pilleri und Jammin’ sich von den aktuellen Strömungen nur wenig beeindrucken liessen. Sie spielten immer den satten, kernigen, ungemein rasanten Bluesrock, später etwas härter, vielleicht etwas kunstvoller. Der Glutkern aber blieb der rohe Blues. Und mit diesem schafften sie es sogar, hinter dem damals aufgespannten Eisernen Vorhang zu einer der populärsten Bands zu werden.
Die Geschichte wurde immer wieder erzählt, weil sie so unglaublich und gleichzeitig so banal ist. Die Engagements im Osten kamen zustande, weil ein Kellner im Berner Café Aarbergerhof sie gefragt hatte, ob sie nicht einmal in Ungarn spielen wollten. Und das taten sie dann auch.
Nicht ahnen konnten sie, was diese Konzerte für Folgen haben würden. Nach dem Fall der Berliner Mauer fand in den USA im Sommer 1990 das Freedom Festival statt, wo man das epochale Ereignis feierte und auf eine Zukunft ohne ideologische Schranken anstiess. Mehrere Hunderttausend Zuschauer sollen an das Monsterkonzert in Philadelphia gekommen sein, das landesweit im Fernsehen übertragen wurde. Crosby, Stills & Nash traten auf, Bo Diddley, The Hooters, Richie Havens und: Boris Pilleri und seine Jammin’ – als einzige Schweizer Band. Die Einladung verdankten sie dem Umstand, dass sie als westliche Band viel im Osten gespielt hatten.
Boris Pilleri blieb
Aber auch dieses Trio löste sich irgendwann wieder auf. Nach zwölf Jahren ging der Schlagzeuger eigene Wege. Doch Boris Pilleri machte weiter. Über die Jahre holte er sich immer wieder Musikerinnen und Musiker an seine Seite, spielte etwa mit Sängerinnen wie Freda Goodlett oder Rhonda Dorsey.
«Ohne den Blues wäre ich nichts», sagte er einmal. «Ich würde wohl nicht einmal Gitarre spielen. Deshalb bin ich auch so unglaublich dankbar.» Schon als 8-Jähriger hatte er das erste Mal Platten von Ten Years After und B. B. King gehört und konnte die Songs relativ schnell nachspielen, ohne dass er gross üben musste. «Es war einfach da, ich weiss bis heute nicht, wie.»
Letzten Herbst hatte Pilleri, der seinen Lebensunterhalt als Grafiker bestritt, nochmals gross angerichtet. Mit «The Blues Never Sleeps» hat er ein glänzendes, spielfreudiges und vor allem opulentes Blues- und Funk-Werk herausgebracht, mit einem wilden Big-Band-Background. Mit Covers von Johnny Guitar Watson und Chuck Berry und eigenen Kompositionen. Gerade hätte die Album-Tournee richtig angezogen. Am Sonntag ist Boris Pilleri ganz überraschend 62-jährig gestorben.
Boris Pilleri sprach nicht so gern von sich selbst. Er hörte lieber zu. Deshalb ging das Treffen mit ihm damals im Herbst nach dem offiziellen Interview noch weiter. Bei einem gemeinsamen Bier sagte er dann einen Satz, der hängen blieb und gleichzeitig viel über ihn aussagt: «Es geht im Leben darum, mutig zu sein, dranzubleiben und ein Quäntchen Eigenes zu schaffen.»
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