Der Schreck von Pfarrern und Hoteliers
Er konnte erzählen, was er wollte – seine Opfer glaubten ihm fast alles. Nun steht ein 45-jähriger Mann in Bern vor Gericht. Er übernachtete gratis in Hotels und liess sich von Kirchen Geld geben.

Die Befragung des Angeklagten läuft bereits seit Stunden, der Mann hat schon sehr viel erzählt im Gerichtssaal, da spricht er in seinem charmanten Englisch einen denkwürdigen Satz: «In meinem Kopf gibt es viele Geschichten.»
Es ist ein wahrer Satz, und das unterscheidet ihn womöglich von vielen anderen an diesem Tag. Denn was immer der Mann auch erzählt – meistens können sich die Zuhörer nicht so sicher sein, ob seine Worte auch stimmen.
«In meinem Kopf gibt es viele Geschichten.»
Immerhin hat er eine Weile ja auch ganz gut davon gelebt, Geschichten zu erzählen, die nicht stimmen. Denn die Zuhörer haben ihm meistens geglaubt. Mehr als dreissig Personen und Betriebe zählt die Liste seiner Opfer, so steht es in der Anklage.
In den vergangenen sechs Jahren fielen Hoteliers, Pfarrer, Kirchgemeindepräsidenten und Privatpersonen gleich reihenweise auf ihn herein. Nun wird der Mann des gewerbsmässigen Betrugs, eventuell der Zechprellerei beschuldigt. Seit gestern läuft der Prozess am Regionalgericht Bern-Mittelland. Nach den Plädoyers von heute verkündet das Gericht morgen Donnerstag sein Urteil.
Pfarrer gab 2150 Franken
Der 45-jährige Somalier lebt bereits seit einigen Jahren in der Schweiz, hier wurde er schon mehrfach verurteilt. Er schluckt Tabletten gegen Paranoia, und seine Heimat, so erzählt er, habe er verlassen müssen, weil er ein erfolgreicher Geschäftsmann gewesen sei und deshalb Opfer von Banden hätte werden können.
Nun hat er längst kein Geld mehr, aber er wusste sich in der Vergangenheit stets zu helfen. Zum Beispiel im Februar 2012. Damals klopfte er bei einem Pfarrer im Emmental an, spielte eine Notsituation vor, gab eine falsche Adresse an und erhielt so 250 Franken. Das war der Anfang.
Drei Jahre später meldete er sich beim gleichen Pfarrer, erklärte, er müsse eine Militärersatzabgabe leisten, damit er seine Dokumente erneuern könne, die falsch seien, denn er wolle seine Freundin heiraten. Die beiden unterzeichneten einen Darlehensvertrag, der Beschuldigte erhielt 1100 Franken. Kurz danach wieder eine «Notlage», wieder ein Darlehen, 400 Franken.
Schliesslich wollte er dem Pfarrer die Schulden zurückzahlen. Dumm nur: Das Geld lag auf dem Küchentisch bereit, doch er hatte den Wohnungsschlüssel verloren, deshalb brauchte er nochmals Geld für den Schlüsseldienst. 400 Franken.
Miete, Mutter, Märchen
So ging es weiter. Rund ein Dutzend Pfarrer, Kirchgemeindepräsidenten und Angestellte von Kirchen wurden seine Opfer, alle Fälle ereigneten sich im Kanton Bern. Mal sollte seine Mutter operiert werden, mal sollte er eine Heiratsgebühr zahlen, mal die Miete, mal hatte er das Portemonnaie verloren. Die Geschichte mit dem Schlüsseldienst entwickelte sich zum Klassiker.
Meistens hatte er Erfolg. Nur ein paar wenige Personen fielen nicht auf ihn herein, weshalb es beim Versuch blieb. Andere fuhren mit ihm gleich zum Geldautomaten und drückten ihm die geforderte Summe in die Hand.
Ein Mann, der ebenfalls Opfer geworden war, sagte gestern als Privatkläger vor Gericht aus. Er hatte dem Beschuldigten 2000 Franken für die Mietkaution bezahlt. «Ich fühlte mich unter Druck gesetzt», sagte er. Die beiden hatten sich in einem Hotel kennen gelernt – kein Zufall.
Briefe an die Opfer
Der Angeklagte übernachtete regelmässig in Gasthäusern in der halben Schweiz, reservierte oft für mehrere Tage, wählte gern das beste Zimmer und hinterlegte stets falsche Dokumente. Wenn er eine Vorauszahlung leisten sollte, vertröstete er die Hoteliers. Und bevor er zur Kasse gebeten wurde, machte er sich unbemerkt aus dem Staub.
«Er ist ein guter Mensch.»
Die Deliktssumme beläuft sich auf gegen 25'000 Franken. Er habe alle seine Opfer angeschrieben. Sobald er könne, werde er ihnen das Geld zurückzahlen, sagte der Angeklagte. Manche aber hätten ihm gesagt, es sei in Ordnung. Auch der Pfarrer aus dem Emmental wolle das Geld nicht mehr zurück. «Er ist ein guter Mensch.»
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch