«Die Kunstwelt funktioniert wie ein Herrenclub»
Sie nennt sich nach der berühmten mexikanischen Künstlerin Frida Kahlo und mischt mit ihren «Guerrilla-Girls» die Museumswelt auf.

Vor 34 Jahren brachte eine simple Frage, schwarz auf gelb, den Stein ins Rollen: «Müssen Frauen nackt sein, um ins Metropolitan Museum zu kommen?» Das Plakat ist legendär, ebenso wie seine Autorinnen, die anonym operierende Künstlerinnengruppe Guerrilla Girls (sie schreiben sich mit zwei r). Seit Jahrzehnten kämpfen die Aktivistinnen in Gorillamasken und unter den Namen verstorbener Kolleginnen gegen die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern im Kunstbetrieb. Im Vorfeld ihres Besuchs in der Schweiz sprachen wir mit dem Gründungsmitglied Frida Kahlo.
Welches Kommando führt die Guerrilla Girls in die Schweiz?
Unsere Verbindung zur Schweiz geht über die Schweizer Künstlerin Miriam Cahn. Sie hat es angeregt, dass Schweizer Museen unsere Werke ankaufen – die Basler und Berner Museen haben es getan. Umso grösser unsere Freude, nun auch der Einladung des Festivals Les Créatives zu einem Auftritt in Basel und Genf zu folgen.
Es ist also nicht die Recherche des Portals «Swiss Info», die Sie zu einer Guerrilla-Aktion in der Schweiz veranlasst hat? Diese hat aufgedeckt, dass 2008 bis 2018 nur 15 Prozent aller Einzelausstellungen in den grossen Schweizer Museen Künstlerinnen gewidmet waren.
Tatsächlich? Nein, wir kennen die Studie nicht! Uns ist übrigens nicht nur die Ausgewogenheit der Geschlechter in den Museen wichtig, sondern auch eine umfassende Diversität. Bestimmt haben Schweizer Museen noch weitere blinde Flecken.
Gibt es nicht ein Poster von den Guerrilla Girls, das sagt: «It's even worse in Europe», «In Europa ist es noch schlimmer»?
Ja, stimmt, aber es ist ein altes Werk von 1986. Dieser Spruch zielte damals auf etwas ganz Spezifisches, das uns in Europa aufgefallen war: der romantische Mythos des Künstlergenies. Dieses Genie war immer männlich. Wir haben 2016 wieder eine Umfrage unter den europäischen Museen gemacht, um die Situation zu überprüfen.

Sie betreiben Ihre statistische Erforschung der herrschenden Verhältnisse seit über dreissig Jahren – stellen Sie eine Verbesserung oder Verschlechterung fest? Das kann man nicht eindeutig beantworten. Die Diversität wurde in manchen europäischen Museen grösser, in anderen gab es Rückschritte. In Spanien gibt es jetzt etwa ein Gesetz, das besagt, dass staatliche Kulturausgaben gleichmässig auf die Geschlechter verteilt werden müssen. Und die Tate Modern in London hat jetzt eine Direktorin – endlich. Moderne Kunstmuseen sind aber auch oft vom Markt abhängig und müssen, vor allem in den USA, nach der Pfeife der Sammler tanzen. Diese schützen gern ihre Investition in Werke weisser männlicher Künstler, indem sie Kunst von anderen verdrängen.
Es war das Moma in New York, welches Ihre erste Empörung auslöste, nicht wahr?
Ja, 1984 fand dort eine internationale Übersichtsausstellung statt, mit 165 Künstlern, und es waren nicht einmal 13 Frauen darunter. Wir protestierten dagegen und verärgerten viele. Damals waren Museumsbesucher fest überzeugt, dass Kuratoren unparteiische Experten sind, ihr Urteil galt als über jeden Zweifel erhaben. Wenn es keine Kunst von Frauen oder von Menschen anderer Hautfarbe in den Museen gab, dann musste diese Kunst einfach schlechter sein.
Wie konnten so gravierende Missstände so lange praktisch unsichtbar bleiben?
Sie waren nicht wirklich unsichtbar. Frauen und marginalisierte Künstlergruppen selbst wussten sehr wohl, dass ihnen Chancen verwehrt wurden. Doch es war ihnen unmöglich, dieses Wissen öffentlich zu machen. Es hörte ihnen schlichtweg niemand zu.
Bis Sie mit Ihren Gorillamasken kamen – warum eigentlich Gorillas?
Wir haben uns früh entschieden, als Aktivistinnen anonym zu bleiben, angesichts des Ärgers, den wir auslösten. Die Kunstwelt ist klein, und sie funktioniert wie ein Herrenclub. Wir waren selbst Künstlerinnen und wollten unser Fortkommen als solche nicht gefährden. Erst später merkten wir, dass die Anonymität eine gute Strategie war, um das Problem ins Zentrum der Diskussion zu stellen – und nicht uns als die Überbringerinnen schlechter Nachrichten.
Die Legende besagt, dass Sie Gorillamasken anzogen, weil Guerilla und Gorilla so ähnlich klingt – stimmt das?
Tatsächlich war eine von uns schlecht in Orthografie und schrieb immer Guerrilla als Gorilla. Das hat uns zu der spezifischen Camouflage inspiriert. Aber unser Selbstverständnis war immer, dass wir Freiheitskämpferinnen, Guerrillas, waren. Der Zusatz «Girls» war ironisch – weil Frauen oft als «Mädchen» verniedlicht werden. Die Gorillaköpfe waren übrigens keine Sonderanfertigung. Wir kauften, was man auf dem Markt bekam.
Nun, es wäre naiv, zu erwarten, dass Jahrtausende des Patriarchats durch ein einziges feministisches Jahrhundert ausradiert werden können.
Die Masken sind heute nicht die gleichen wie am Anfang?
Nein, natürlich nicht, sie müssen alle unsere Auftritte mitmachen und verschleissen. Wir kaufen neue online. Aber aus irgendeinem Grund gibt es heute weniger verspielte Gorillamasken als früher.
Sie tragen alle Namen von verstorbenen Künstlerinnen. Warum haben Sie gerade Frida Kahlo als Ihre Patronin erkoren?
Wir gaben uns Namen vergessener Künstlerinnen, das passte zu unserem Anliegen. Als wir unsere Aktivität begannen, 1985, war Frida Kahlo in den USA praktisch unbekannt, obwohl sie in Mexiko bereits eine Legende war. Damals kam ihre erste Biografie heraus, sie hat mich schwer beeindruckt.

Was im Besonderen?
Kahlos Unabhängigkeit, und dass sie sagte, was sie dachte, ohne Rücksicht auf die vorherrschende Meinung. Und wie sie ihr Leben als Frau und als Künstlerin gestaltete. Ich musste nicht lange nachdenken. Sie war mein Idol.
Frida Kahlo war schon vor Jahrzehnten eine der ersten «wiederentdeckten» Künstlerinnen, doch erst kürzlich ging es mit der Geschichtskorrektur so richtig los. Fast jede Woche geht irgendwo eine Ausstellung vergessener Künstlerinnen auf, und Museen wie das Moma gestalten ihre Sammlungspräsentationen neu, um Frauen grössere Sichtbarkeit zu gewähren. Warum erst jetzt?
Nun, es wäre naiv, zu erwarten, dass Jahrtausende des Patriarchats durch ein einziges feministisches Jahrhundert ausradiert werden können. Diese Korrekturbewegungen sind wie Wellen, die unser Verständnis von Kunstgeschichte verändern. Jede Welle ist umfassender als die vorhergehende.
Dabei hatte man bis kurz nach der Jahrtausendwende in Europa das Gefühl, die Gleichberechtigung sei schon vollendet. Wie war das möglich?
Und wieder muss man fragen: Wer hatte das Gefühl? Die Politik? Die Wirtschaft? Das sind keine Treiber des Fortschritts – die Kultur ist es. Wer sich an der gläsernen Decke den Kopf stösst, der weiss, dass es sie gibt. So wie Frauen immer wussten, dass die gesellschaftlich sanktionierten Übergriffe von männlichen Machtträgern eine Gewaltform darstellten. Der Aufschrei des #MeToo oder #Time'sUp kam nicht aus dem Nichts.
Die soziale Stigmatisierung der Übergriffe war überfällig. Tut aber die Moralisierung des ästhetischen Urteils der Kunst gut?
Was meinen Sie damit?
Ich denke an einen Fall wie die Kontroverse um das Bild der Künstlerin Dana Schutz. Es wurde zu seiner Zerstörung aufgerufen, weil die weisse Künstlerin die Tragödie eines dunkelhäutigen Kindes dargestellt hatte.
Ich bin natürlich absolut gegen die Zerstörung von Kunstwerken. Ist es aber andererseits für uns Weisse nicht langsam an der Zeit, auf die Stimmen aller zu hören, die bisher nicht sprechen durften? Ich finde, es ist.
Guerilla Girls kämpfen mit Humor, beissender Ironie, direkter Ansprache. Wurden Sie selbst nie beschuldigt, andere zu diskriminieren?
Oh je, natürlich!
Wann zum Beispiel?
Etwa, als wir unsere Zeitung «Hot Flashes» in den 1990er-Jahren herausgaben und einen höheren Preis dafür von den weissen Männern als von Frauen und Farbigen verlangten – da hiess es sofort «Diskriminierung!». Das war uns ein willkommener Anlass, um den Status quo zu diskutieren: dass die Frauen weniger verdienen und für so vieles mehr zahlen müssen – für den Coiffeur, für Kleider, für Make-up et cetera. Diese Diskriminierung war eine Provokation.
Am Mittwoch treten Sie im Kunstmuseum Basel auf. Wissen Sie, dass es dort zwischen 2008 und 2018 nur neun Prozent Künstlerinnen-Ausstellungen gab?
Nein, aber danke für den Hinweis. Das verdient einen beherzten Guerrilla-Einsatz.
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