Die problematische Kritik an den Notenbanken
Es ist ein Tabu, trotzdem machen führende Politiker wie Trump und Maurer immer stärker Druck auf ihre Notenbanker. Nun tut es auch Merkels Wunschnachfolgerin.

In einem Interview mit der «Frankurter Allgemeinen Zeitung» (FAZ) fordert Annegret Kramp-Karrenbauer eine Kurskorrektur der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB), auch wenn sie es etwas vorsichtiger ausdrückt. Karrenbauer ist Chefin der Regierungspartei CDU und mit diesem Posten die Wunschnachfolgerin von Kanzlerin Angela Merkel an der Spitze Deutschlands. Wörtlich sagt sie gemäss der Zeitung, zwar verfehle die EZB noch immer die von ihr angestrebte Teuerung, doch «gleichzeitig muss man in die Zukunft schauen, ob man nicht auch trotzdem die Niedrigzinsphase ein Stück einbremsen muss.» Der Effekt der Niedrigzinsen sei problematisch, «weil gerade die Menschen mit den klassischen Spareinlagen – darunter viele in Deutschland – davon nicht profitieren.»
Mit ihrem Vorpreschen dürfte die Kanzlerkandidatin vielen Deutschen aus der Seele sprechen. Da ihre Chancen mittlerweile im Sinken begriffen sind, hat sie auch allen Grund, sich wieder Popularität zu verschaffen. Dass sie im Interview auf die USA verweist, die schliesslich auch die Zinsen angehoben hätten, zeugt von einer gewissen Verkennung der Situation in Europa. Die extrem tiefen Zinsen auf dem alten Kontinent sind Ausdruck der anhaltend fragilen Lage der Eurozone insgesamt, während der Zinsanstieg in den USA für einen im Vergleich dazu starken Wirtschaftsverlauf steht.
Mehr als eine politische Debatte
Karrenbauers Vorstoss ist nur ein weiteres Beispiel dafür, wie führende Politiker weltweit immer stärker Druck auf die Notenbanker machen. Obwohl Karrenbauer im gleichen Interview betont, dass sie der Zentralbank keinesfalls Ratschläge erteilen will, und erklärt, «die EZB ist unabhängig und sie soll unabhängig bleiben», hilft sie dabei, diese Unabhängigkeit zu untergraben. Diese bedeutet nicht, dass es in der Politik keine Debatte über die Geldpolitik geben darf. Aber wenn Staatschefs und potenzielle Staatschefs diese Kritik zum Programm machen, ist das problematischer.
Am grössten ist der Druck auf die Notenbank in den USA. Dort wird die Kritik von Donald Trump an dem von ihm eingesetzten Notenbankchef Jerome Powell immer gehässiger. Laut Medienberichten hat der US-Präsident sogar abklären lassen, wie er Powell wieder los wird. Trump wünscht sich deutlich tiefere Leitzinsen, vor allem weil das die bereits hohen Börsenkurse noch stärker befeuert. Der Verlauf der Aktienkurse ist für ihn Indiz für seine Wiederwahlchancen.
Auch in der Schweiz hat sich bereits ein Bundesrat mit Kritik an der eigenen Notenbank aus dem Fenster gelehnt: An einem Staatsbesuch in Österreich im letzten Sommer erklärte Finanzminister Ueli Maurer, die Ausweitung der Notenbank der Schweizerischen Nationalbank, befinde sich «an der Grenze des Erträglichen». Seine dem Vernehmen nach eher spontane Aussage hat in der Schweiz dennoch ein grosses Echo ausgelöst – nicht zuletzt deshalb, weil die Tiefzinspolitik der Nationalbank auch hierzulande bei Teilen der Bevölkerung und besonders bei den Banken höchst unbeliebt ist und Ängste auslöst.
Das Fed hat nachgegeben
In den USA kommt die Notenbank den Wünschen ihres Präsidenten immerhin entgegen: Die noch im Vorjahr erwarteten und mehr oder weniger angekündigten weiteren Zinserhöhungen hat Fed-Chef Powell wieder abgesagt. Viele Ökonomen erwarten jetzt sogar Zinssenkungen. Am Verhältnis zu Trump ändert es allerdings wenig. Erstens betonen die Notenbanker, dass eigene Erwägungen zur Lage der Wirtschaft sie zu ihrer neuen Einschätzung bewogen haben, und zweitens will Trump ohnehin noch deutlich tiefere Zinsen sehen.
In Europa und auch in der Schweiz zeichnet sich dagegen keine Änderung in Richtung wieder höherer Zinsen ab, wie von Karrenbauer gewünscht. Im Gegenteil: Mario Draghi hat erst kürzlich erklärt, sogar noch weitere Zinssenkungen zu erwägen – womit er gleich auch den Zorn von Donald Trump auf sich gezogen hat, der darin eine unfaire Währungsmanipulation sah, weil die Worte den Euro gegenüber dem Dollar geschwächt haben. Diese Politik der EZB lässt auch in der Schweiz eher weitere Zinssenkungen oder Interventionen in die Devisenmärkte erwarten statt einer Normalisierung der Geldpolitik. So sehen es die meisten Prognostiker. Auch hier dürften deshalb die Erwartungen von Bundesrat Maurer enttäuscht werden.
Das angespannte Verhältnis der Politik zu den Notenbankern in Europa macht deutlich, warum immer mehr Beobachter den Wechsel von Christine Lagarde vom Chefsessel des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu dem der EZB als Nachfolgerin von Mario Draghi für einen klugen Entscheid halten. Niemand erwartet von Lagarde, dass sie an der Politik ihres Vorgängers etwas ändert. Doch Lagarde gilt als perfekte Vermittlerin und Kommunikatorin, und genau diese Fähigkeiten wird sie in erster Linie brauchen, um die Politiker der Eurozone auf eine anhaltende Phase extrem tiefer Zinsen einzuschwören.
Auch Annegret Kramp-Karrenbauer lobte im besagten Interview Christine Lagarde. Ihre Aussagen zur EZB lassen aber für die Zukunft ein eher gespanntes Verhältnis Deutschlands zur Französin erwarten. Nicht nur, weil diese kaum bald Zinserhöhungen einleiten wird, sondern auch, weil schon der IWF unter ihrer Ägide – wie auch andere Organisationen – eine Entlastung der Notenbanken durch höhere Staatsausgaben gefordert hat – und damit war immer vor allem Deutschland gemeint. Denn dieses Land hat hier vom Staatsbudget her die grössten Möglichkeiten. Es ist daher gut möglich, dass die Kritik an der EZB-Politik zum Bumerang wird.
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