Ehe für alle könnte in weite Ferne rücken
Der Bundesgerichtsentscheid zur Heiratsinitiative der CVP hat wohl Folgen für Schwule und Lesben: Dem Gesetzesprojekt für die Homosexuellen-Ehe droht eine längerfristige Blockade.

«Die Ehe ist die auf Dauer angelegte und gesetzlich geregelte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau.» So lautet der erste Satz der CVP-Initiative «Für Ehe und Familie», die das Volk vor drei Jahren knapp ablehnte. Jetzt dürfte die Diskussion darüber erneut aufbranden, nachdem das Bundesgericht am Mittwoch das Abstimmungsresultat annulliert hat. Die Chancen sind gross, dass die Initiative dem Volk noch einmal vorgelegt wird – und mit ihr die Exklusivität der Ehe für Heterosexuelle.
Das bedeutet zugleich: Die im Parlament aufgegleiste Ehereform zugunsten der Schwulen und Lesben könnte sich auf unbestimmte Zeit verzögern. Eigentlich läge inzwischen ein fertig ausgearbeiteter Reformvorschlag vor; die Rechtskommission des Nationalrats schickte den Gesetzesentwurf vor einem Monat in die öffentliche Vernehmlassung. Ohne CVP-Initiative wäre man nach Vorstellung von Kommissionsmitgliedern in der Lage gewesen, das Geschäft im Winter ins Parlament zu bringen – mit intakten Aussichten, die Homo-Ehe im Jahr 2020 einzuführen.
«Wenn 2020 eine neue Volksabstimmung angesetzt wird, sollten wir das Geschäft bis dann sistieren.»
Dieser Zeitplan ist schwerlich einzuhalten, sollte die CVP-Initiative 2020 erneut vors Volk kommen. Falls das Anliegen nämlich Erfolg hätte, wäre die Ehe als «Lebensgemeinschaft von Mann und Frau» in der Verfassung festgeschrieben – und die Öffnung für Homosexuelle auf Gesetzesstufe verunmöglicht.
Noch ist über das weitere Vorgehen nicht entschieden. Kommissionschef Pirmin Schwander (SVP, SZ) war am Donnerstag nicht erreichbar. Kommissionsmitglied Beat Flach (GLP, AG), dessen Fraktion die Ehe für alle 2013 mit einer parlamentarischen Initiative angestossen hatte, sagt aber klar: «Wenn 2020 eine neue Volksabstimmung angesetzt wird, sollten wir das Geschäft bis dann sistieren.» Eine solche Pause hält auch Flachs Kollegin Andrea Geissbühler (SVP, BE), die die Reform ohnehin kritisch beurteilt, für «sinnvoll».
Ärger bei Pink Cross
Wenig erfreut zeigt man sich bei Pink Cross, dem Dachverband der homosexuellen Männer. Geschäftsführer Roman Heggli hofft, dass die Verzögerung so gering wie möglich ausfällt. Er fordert die Parlamentarier auf, an der Reform weiterzuarbeiten, sodass sie nach der Abstimmung über die CVP-Initiative schnell umgesetzt werden kann. «Das Parlament diskutiert darüber jetzt seit sechs Jahren. Wir lassen nicht noch einmal so lange mit uns spielen.» Was die Initiative betrifft, so ist Heggli zuversichtlich, dass auch eine zweite Volksabstimmung zu gewinnen wäre. «Die Ehe für alle hat in den letzten Jahren weiter an Akzeptanz zugelegt.» Eine Abstimmungskampagne würde freilich wieder aufwendig und teuer. Heggli hofft daher, dass das Parlament und die Initianten zu einem Kompromiss finden, der die Ehe für alle zulässt. Dafür würde er sogar noch eine leichte Zusatzverzögerung in Kauf nehmen.
Ob die Initiative nochmals ins Parlament kommt oder direkt wieder zur Abstimmung gebracht wird, ist unklar. Der Bundesrat äussert sich noch nicht. Eindeutig ist, dass innerhalb der CVP ein grosses Interesse an einem Kompromiss besteht. Hauptanliegen der Initiative ist die Beseitigung der steuerlichen «Heiratsstrafe». Auch Vertreter des wertkonservativen Parteiflügels wären dafür bereit, auf die Ehedefinition zu verzichten. «Die Frage, wem die Ehe offen stehen soll, muss nicht unbedingt im steuerlichen Kontext geklärt werden», sagt der Bündner Ständerat Stefan Engler.
Der frühestmögliche Zeitpunkt für eine Abstimmung wäre der 9. Februar 2020. Pikant: Dann wird womöglich auch über die erweiterte Rassismusstrafnorm abgestimmt, die Homosexuelle besser schützt. Die CVP befürwortet die Vorlage – und müsste am gleichen Tag aber dafür kämpfen, den Homosexuellen die Heirat zu verbieten.
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