Nachruf auf Phyllida Barlow Ein stiller Triumph
Die britische Bildhauerin Phyllida Barlow ist tot. Als Lehrerin hat sie eine Generation geprägt – die ihr zu spätem Welterfolg verhalf.

Es ist eine der eigenartigsten Pointen in dieser an Absonderlichkeiten reichen Künstlervita, dass das Weiche sich durchsetzt, das Provisorische, Ephemere. Schliesslich gehörte Charles Darwin zu den Vorfahren der Künstlerin Phyllida Barlow – und dass die Britin, die am Sonntag gestorben ist, doch noch als erstrangig erkannt wurde, sagt auch einiges aus über eine Zeit, in der das Starke, Laute nicht zwangsläufig triumphieren muss.
Die 1944 in Newcastle upon Tyne geborene Phyllida Barlow war die Tochter eines Psychiaters, der die Traumata von Kriegsheimkehrern behandelte, und wuchs als jüngstes von drei Kindern im von deutschen Bomben zerstörten London auf.
Als Bildhauerin, die an der Slade School of Art studiert hatte, entfaltete sich ihr Werk zwischen Ruinen und dem modernen Funktionalismus – und allen Zuständen dazwischen. Barlow verschmähte die Arbeit an Bronze und Stein als «vorwiegend männliche Aktivitäten» und verwendete lieber Bauholz, Beton, kräftiges Tuch und Wandfarbe.
Als sie Mutter wurde, gab sie die Kunst auf – temporär
Mit der Geburt ihres ersten Kindes im Jahr 1973 unterbrach Phyllida Barlow ihre künstlerische Arbeit für lange Zeit – vier weitere Kinder sollten folgen – und setzte ihre Karriere danach als Lehrerin an Kunstakademien fort, zuletzt an der Slade School. Ohne Galerie war sie darauf angewiesen, in den Ateliers oder Wohnungen von Freunden auszustellen, sie installierte ihre Arbeiten bei Guerilla-Aktionen auf Spielplätzen oder in verlassenen Häusern und in stillgelegten Fabriken. Bei einsamen Performances warf sie ihre Skulpturen auch schon mal nachts in die Themse.
Doch ihre berühmten Schüler – darunter die international gefeierte Tacita Dean, Rachel Whiteread oder Martin Creed – machten den Galeristen Iwan Wirth auf das sperrige Werk aufmerksam. Der besuchte sie in ihrem Haus in Finsbury Park, entsetzt darüber, dass dort nie geputzt wurde, aber fasziniert von einem Werk, das gleichzeitig monumental wie fragil war. Im Schnelldurchlauf wurde die freigeistige Barlow doch noch zum Star. Sie stellte in der Serpentine Gallery aus, wurde als Mitglied der Royal Academy berufen, vertrat Grossbritannien im Jahr 2017 auf der Biennale von Venedig und wurde zur Dame des Britischen Empire geadelt.
Selbstbewusst und angriffslustig
Ihre Ausstellung im Kunstverein Nürnberg im Jahr 2011 war sicher eine der schönsten Präsentationen dieser Entdeckungszeit: Staunend stand das Publikum vor Gerüsten aus Baulatten, die sich bis unter die Decke des hohen Saals reckten. Erstmals zeigten sich die Konturen einer Bildhauerei, die, ihre eigene Monumentalität unterlaufend, leichthändig, überwältigend, empfindlich ist – aber auch selbstbewusst und angriffslustig. «Shedmesh», ein Schlüsselwerk aus den frühen Siebzigerjahren, spielt als weisser Kubus mit den Idealen des Minimal, zerfasert aber dessen Perfektionswahn im verknoteten Gewirr heller Stoffstreifen.
Bei einer der letzten grossen Ausstellungen Phyllida Barlows im Münchner Haus der Kunst im Jahr 2021 konnte «Shedmesh» – wie so viele verlorene Arbeiten der Künstlerin – jedoch nur noch als Rekonstruktion gezeigt werden. Was aber vielleicht auch durchaus nicht zufällig ist: «Die Art, wie Gegenstände scheitern», soll die Künstlerin einmal gesagt haben, «hat etwas Komödiantisches.» Es ist nicht auszuschliessen, dass sie ihr eigenes Œuvre da nicht ausgenommen sehen wollte.
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