Entlang der Schamgrenze
Die Verfilmung von Charlotte Roches Roman «Feuchtgebiete» entlockt dem umstrittenen Bestseller rund um Ekel, Elternkomplexe und erogene Zonen ein erstaunlich leichtfüssiges Frauenporträt. Dies gelingt nicht zuletzt dank der Tessiner Schauspielerin Carla Juri.

Schauen wir noch einmal kurz in den 2008 erschienenen Roman «Feuchtgebiete» hinein: Die bislang als TV-Moderatorin bekannte Charlotte Roche brauchte damals keine fünf Seiten, um die Begriffe «Hämorrhoiden», «Rosette», «Doggystellung», «Muschi», «Arschrasur» und «Analfissur» loszuwerden. Als potenzieller Leser war man gleich vorgewarnt und konnte das Werk nach kurzem Durchblättern wieder ins Buchhandlungsregal zurückstellen, sollte einem der Ton missfallen sein.
Nur tat das damals kaum jemand: «Feuchtgebiete» ging millionenfach über den Ladentisch. Die hohen Verkaufszahlen, gepaart mit den medienwirksamen Talkshowauftritten der Autorin, machten aus dem Buch mehr als nur einen einfachen Aufreger. Die Feuilletonjournalisten hatten einen manifestartigen Text gefunden, anhand dessen sich rege über postfeministische Haltungen, Sinn und Unsinn der Enttabuisierung der weiblichen Intimsphäre und die Grenzen zur Pornografie streiten liess.
Überflüssige Verfilmung?
Fünf Jahre später kommt nun also die Verfilmung von «Feuchtgebiete» in die Kinos. Die dringendsten Fragen dazu lassen sich im Eilverfahren beantworten: Ist der Film skandalös? Nein. Ist er voyeuristisch oder pornografisch? Nein. Geht er an die Grenze des Erträglichen? Nein. Ergänzt er die mittlerweile abgeflauten Debatten zum Buch um wichtige Aspekte? Kaum. Ist die Leinwandversion also überflüssig? «Es hätte der Verfilmung dieses Romans nicht bedurft», lautet hierzu das knappe Fazit einer Literaturkritikerin in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung».
Doch das Publikum lässt sich von der behaupteten Nichtnotwendigkeit des Films nicht beirren: «Feuchtgebiete» hat in Deutschland innert Wochenfrist stolze 200000 Zuschauer angelockt und wird nun eine Woche später auch in der Schweiz auf über dreissig Leinwänden gleichzeitig gestartet. Das öffentliche Interesse an der Verfilmung ist unbestritten, und auf eine reine Sensationslust des Publikums lässt sich das Phänomen nicht reduzieren.
Tiefgründiger Kern
Vielleicht braucht es diesen Film eben doch. Denn er erinnert uns nicht zuletzt daran, dass die Geschichte von «Feuchtgebiete» bei aller verbalen Kraftmeierei und hochgespielten Schamlosigkeit auch einen tiefgründigen Kern enthält: Die Hauptfigur und Erzählerin ist ein Scheidungskind, eine körperlich labile und zutiefst verunsicherte junge Frau, deren aussergewöhnliche Faszination für Bakterien, Körperausscheidungen und zügellosen Sex in ihrer fehlenden Selbstakzeptanz begründet liegt.
Dies ist zumindest die Auslegung der Tessiner Schauspielerin Carla Juri («Eine wen iig, dr Dällebach Kari»), die sich in der herausfordernden Hauptrolle als ideale Besetzung erweist. Überzeugend verkörpert sie das grundsätzlich liebesbedürftige Wesen, das mit seinen teils unappetitlichen Eskapaden eine fehlende Geborgenheit kompensiert und mit einer radikalen Enthemmung gegen die eigenen Komplexe vorgeht.
Visueller Übermut
Damit soll nun aber nicht suggeriert werden, der Film «Feuchtgebiete» sei ein feinfühliges Werk: Das ist er nicht. Schon ab den ersten Sequenzen wird das Publikum mit bewegten, bunten und schrillen Bildern und geschmacklichen Provokationen eingedeckt. Mit lauter Musik, schnellen Schnitten und vertrackten Einstellungen wird eine übermütige, punkige Stimmung erzeugt, die gleichermassen an Danny Boyles «Trainspotting» und an Pipilotti Rists «Pepperminta» erinnert.
«Es ging uns darum, das Publikum eingangs zu diesem Film zu verführen – ihm quasi einen bunten Blumenstrauss zu überreichen, von dem sich dann später herausstellt, dass er auch ein paar Stacheln und Dornen hat», kommentiert der Regisseur David Wnendt («Kriegerin») den Einstieg. Wnendt selbst hat übrigens das Buch für die Leinwand adaptiert; Charlotte Roche begleitete den kreativen Prozess nach dem Verkauf der Rechte nur noch am Rande.
Auch die Produktion, die Kamera, die Musik und der Schnitt der Filmversion stammen aus Männerhand. Wendt hierzu: «Ich fände es generell falsch, wenn Frauen nur Frauenfilme und Männer nur Männerfilme machen dürften.» In diesem Sinne widmet sich «Feuchtgebiete» auch weniger einem geschlechterspezifischen Diskurs als vielmehr einem packenden, lustvollen Porträt einer Person mit eigentümlichen Problemen rund um intimste Freuden und Leiden. Und das tut er erfreulich unverkrampft.
«Feuchtgebiete»: ab Donnerstag, 29.8., im Kino.
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