«Er weinte» – wie Gauck gekürt wurde
In einer zähen Verhandlung einigten sich die deutschen Parteien gestern Abend auf Joachim Gauck als neuen Bundespräsidenten. Von seinem Glück erfuhr er im Taxi.

Am Ende ging alles ganz schnell. Kaum war SPD-Chef Sigmar Gabriel als letzter beim Treffen der Fraktions- und Parteispitzen eingetroffen, kam die Nachricht, dass die Parteispitzen nur eine Dreiviertelstunde später gemeinsam vor die Presse treten würden. Nach einem scheinbar endlosen Wochenende mit unzähligen Telefonaten und Gesprächsrunde hatten sich CDU, CSU, FDP, SPD und Grüne auf einen Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten verständigt: Auf den ehemaligen DDR-Bürgerrechtler Joachim Gauck, der vor eineinhalb Jahren schon einmal für das Amt kandidiert hatte.
Die Überraschung war perfekt, als um 21.15 nicht nur die Parteispitzen gemeinsam vor die Kameras traten, sondern auch ein sichtlich ergriffener Gauck höchstpersönlich. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte ihn unmittelbar angerufen, nachdem sie das Spitzentreffen im Kanzleramt eröffnet hatte. Gauck, noch im Taxi auf dem Rückweg vom Flughafen, stiess zu der Runde, die bei Bouletten und Kartoffelsalat die Wunden des Wochenendes leckte.
«Ist das Gaucks Handy-Nummer?»
Doch Merkel hatte offenbar schon länger keinen Kontakt mehr zu Gauck und war entsprechend unsicher, ob die Koordinaten auf ihrem Handy noch aktuell sind: «Ist das Gaucks Handy-Nummer?» soll die Bundeskanzlerin den Grünen-Mann Trittin gefragt haben, wie «Spiegel online» berichtet.
Am Nachmittag hatte die Nachricht die Runde gemacht, dass die FDP Gauck gerne im Bundespräsidialamt sehen würde - entgegen dem ursprünglichen Willen der Union. Für die Koalition bedeutete dies zumindest eine schwere Belastungsprobe.
Gauck als Gegenentwurf zu Wulff
Anmerken lassen liess sich die Kanzlerin nichts, als sie den gemeinsamen Kandidaten schliesslich präsentierte. Sie erinnerte an die gemeinsame Vergangenheit in der DDR, die sie «bei aller Verschiedenheit» mit Gauck verbindet - und an die Wende, bei der sich 1989/90 ihre «Sehnsucht nach Freiheit» erfüllt habe. Ein wahrer Demokratielehrer sei Gauck, sagte Merkel und betonte, sie sei sich sicher, dass Gauck wichtige Impulse geben könne «für die Herausforderungen unserer Zeit und der Zukunft».
Sichtlich ergriffen soll Gauck gewesen sein, als er am Abend zu der Runde im Kanzleramt stiess. «Er weinte», äusserte sich ein Teilnehmer gegenüber «Spiegel online». Sichtlich bewegt war er auch noch, als er sich anschliessend äusserte. Während reihum die Parteichefs ihre Statements abgaben, wirkte der ehemalige Bürgerrechtler zunächst, als würde er da schon die gesamte Last des Amtes auf seinen Schultern tragen. Mit dem Anruf Merkels hatte er offensichtlich nicht gerechnet.
Fast wie ein Versprechen wirkte es nach den Affären der letzten Wochen um Glanz und Glamour, als Gauck versicherte, seine «Tätigkeit als reisender Politiklehrer» werde er nicht grundsätzlich ändern. Zugleich dämpfte er die Erwartungen, er könne in seinem Amt Supermann-Qualitäten entfalten. Es ist der Gegenentwurf zum zurückgetretenen Bundespräsidenten Christian Wulff und den Affären der letzten Wochen und Monate.
Ende gut, alles gut?
Möglich geworden war die schnelle Kandidatenkür Gaucks vor allem deswegen, weil die Liberalen am Sonntag die Flucht nach vorn angetreten hatten. Ein Schritt, den CSU-Chef Horst Seehofer etwa als «nicht so freundlich» wertete, wie er nach der Veranstaltung erklärte. Das alles werde allerdings geheilt «durch ein gutes Ergebnis». Zuvor hatte Seehofer Gauck versichert: «Sie haben das Vertrauen der CSU und das Vertrauen der Bayern.» Und auch FDP-Chef Philipp Rösler konstatierte: «Joachim Gauck kann die Menschen wieder mehr begeistern für die Demokratie.»
Kaum verkneifen konnte sich SPD-Chef Sigmar Gabriel an diesem Abend das Grinsen - immerhin war er es doch im Sommer 2010, der Gauck gemeinsam mit den Grünen ins Spiel gebracht hatte. Einen kleinen Seitenhieb liess sich Gabriel dementsprechend auch nicht nehmen. Gauck werde helfen, die «Kluft zwischen der Bevölkerung und den Institutionen der Demokratien und den Parteien auch wieder zu schliessen».
Um kurz nach 22.00 Uhr war alles gelaufen im Kanzleramt. Betont fröhlich verabschiedete sich die Kanzlerin von Seehofer und den versammelten Journalisten. Die Überschrift für den Abend hatte zuvor schon Gabriel ausgegeben: «Ende gut, alles gut.» Ab Montag können die Koalitionsspitzen sich nun wieder der Griechenland-Rettung zuwenden.
dapd/mrs
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch