Es klappert wieder auf den Dächern
Zwei Wochen früher als gewöhnlich sind die Störche in das Dorf zurückgekehrt, das für die grossen Vögel bekannt ist. «Sie gehören zu uns», sagen die Einwohner.

Ein Nest thront auf dem Dach des Gasthofs Traube. Bereits besetzt von einem Storchenpaar. Auf den umliegenden Dächern sonnen sich weitere Artgenossen. Schon seit Mitte Januar sind sie zurück, die Störche von Grossaffoltern. Für Traube-Wirtin Sandra Gammenthaler keine Sensation. «Wir sind mit ihnen aufgewachsen, sie gehören einfach zu uns, zu unserem Dorf.»
Im Sommer sei die Terrasse jeweils gut besetzt mit Storchenfans. «Eigentlich sollten wir den Gasthof umbenennen in Gasthof Storch», witzelt Gammenthaler. Auf der Speisekarte aber stehen die Vögel natürlich nicht. Obwohl sich manche Gäste den Spruch nicht verkneifen könnten, Storchen- statt Pouletflügeli zu bestellen.
Gammenthaler würde sich aber keinesfalls als Storchenexpertin bezeichnen, nur weil sie aus Grossaffoltern stamme. «Wer sich hier mit Störchen wirklich auskennt, ist Herr Marti, unser Gemeindepräsident.» Sein Vater Peter Marti holte die Weissstörche vor fast fünfzig Jahren ins Dorf.
Dachfenster unter Flugbahn
Ein Nest auf dem Hausdach hat auch Andrea Lucy. Seit zwei Jahren lebt sie in Grossaffoltern, umgeben von Störchen. Die Wohnung habe ein Dachfenster, das unter der Flugbahn der Störche liege, erzählt sie. «Wir können also den Anflug auf das Nest von einer ganz besonderen Perspektive aus beobachten.»
Der Preis dafür ist Storchendreck auf dem Fenster, was aber zu verkraften sei. Zudem müsse die Regenrinne regelmässig von heruntergefallenem Nestmaterial befreit werden. Oft hört Lucy die Störche klappern und die Jungvögel nach Futter schreien, wenn sie an ihrem Küchentisch sitzt. Die Verhaltensweise der Tiere hat Lucy bis jetzt aber noch nicht eingehend studiert. «Der Storchenkenner hier im Dorf ist Herr Marti.»
Unter den Schulkindern seien die weissen Vögel Gesprächsthema, erzählt Regula Pulver, Schulleiterin der Unterstufe. «Die Störche landen auf der Wiese vor dem Schulhaus, die wir vom Klassenzimmer aus im Blick haben», sagt Pulver. Lehrerkollegen aus anderen Schulen würden mit ihren Klassen Ausflüge nach Grossaffoltern machen, um die Störche zu beobachten.
Selbst das Logo der Schule ist ein fliegender Storch. «Wir haben uns aber noch nie überlegt, ob wir Störche auf dem Schulgebäude nisten lassen sollen», sagt Pulver. Sie sei sich ohnehin nicht sicher, wie das zu bewerkstelligen wäre. «Darüber weiss Herr Marti besser Bescheid.»
Es sind noch nicht alle da
Niklaus Marti – er ist zuständig für die Störche im Dorf. Der Sohn von Storchenvater Peter Marti erinnert sich, dass er bereits als Elfjähriger Fische hackte, um die Störche zu füttern.
Gerade habe ihn eine Dorfbewohnerin um Rat gefragt. Ein Storchenpaar habe ihr Dach als Neststandort im Visier und hinterliesse darauf eine nicht unbescheidene Menge an Fäkalien.
«Der Storch sucht sich seinen Nistplatz selbst aus», sagt Marti. Manche Bewohner versuchen ohne Erfolg, die Störche auf ihren Dächern zum Nisten zu bringen. Andere, die keine Störche auf dem Dach wünschen, werden die Vögel kaum wieder los. Dann müsste man auf dem Dach Vorrichtungen errichten, um die Störche an ihrem Vorhaben zu hindern.
Weshalb haben sich die Störche dieses Jahr zwei Wochen früher im Dorf niedergelassen? Marti vermutet, dass der milde Winter der Grund dafür sei. Die Natur in den nördlicheren Breitengraden könne den Störchen bereits ausreichend Nahrungsquellen bieten.
Auch wenn noch kalte Tage folgen, die ausgewachsenen Störche sind resistent gegen die Kälte und kommen bis zu drei Wochen ohne Nahrung aus, sollte der Boden gefrieren. «Aber noch ist nicht die ganze Kolonie eingetroffen» sagt Marti. Man erwarte die Ankunft weiterer Mitglieder.
Es gehen gar nicht alle weg
Zwei oder drei Störche würden jeweils den Winter über in Grossaffoltern bleiben, sagt Marti. Für die Senioren unter den Störchen ist ein Aufbruch in den Süden kein Thema mehr. Diese älteren Vögel können nicht identifiziert werden, da sie nicht beringt sind. Sie besetzen kein Nest, sondern streunen herum.
In den kommenden Monaten wird Grossaffoltern auch Schauplatz der Fortpflanzung. Die Paare bessern ihre Nester aus, legen Eier und brüten sie aus. Die Jungvögel bekommen einen Ring zur Identifizierung um den Fuss, ehe sie flügge werden.
Wenn der Herbst kommt, verlassen die jungen Störche die Kolonie ihrer Eltern und somit Grossaffoltern endgültig. Sie suchen sich eine neue Kolonie. Den Storch zieht es niemals ins Dorf seiner Kindheit zurück.
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