Gleich zwei neue TeamsEs knistert im Schweizer Radsport
In der neuen Saison geht die Schweiz seit langem wieder mit zwei Profi-Equipen an den Start – am Samstag bei Mailand–Sanremo. Da schwingen Spannungen mit.

Der Schweizer Velocoup der Woche erfolgt am späten Mittwochnachmittag. «Tudor gewinnt ein Rennen bei den grossen Jungs!», ruft der englische TV-Kommentator, als der Niederländer Arvid de Kleijn beim Eintagesrennen Mailand–Turin die ganze Konkurrenz überrascht, darunter auch einige der allerbesten Sprinter.
Damit eröffnet das Tudor Pro Cycling Team sein Siegeskonto, direkt vor dem Saisonhighlight am Samstag: Die Equipe von Fabian Cancellara startet bei Mailand–Sanremo. Tudor ist nicht das einzige Schweizer Team, das die 300 Kilometer hinunter zur ligurischen Küste unter die Räder nimmt. Mit dem Q36.5 Pro Cycling Team wurde auch die zweite neue Schweizer Profimannschaft nach Italien eingeladen. Beide Equipen gehören zu den Aussenseitern, ohne realistische Siegchance. Auch wenn ihnen die ganz grossen Namen fehlen: Die Organisatoren sind an den Schweizer Teams interessiert. Beide erhielten bereits für zahlreiche grosse Rennen Wildcards.
Sechs Jahre ohne Schweizer Team
Und trotzdem: Zwei Schweizer Profiteams, die auf höchster Stufe mitfahren, das ist ein Novum in der jüngeren Radsportgeschichte. Zuletzt gab es seit dem Ende von IAM Cycling 2016 während sechs Saisons kein Schweizer Team.

Entsprechend ist nun zu spüren, wie die Mannschaften im Heimmarkt um Aufmerksamkeit ringen. Dabei könnten sie sich bezüglich Herangehensweise und Aufbau kaum deutlicher unterscheiden. Das Team Tudor ging aus dem ehemaligen Nachwuchsteam Swiss Racing Academy hervor, hat seinen Hauptsitz im Luzerner Umland, mit der Uhrenmarke Tudor einen Schweizer Hauptsponsor und viele weitere Schweizer Ausrüster. Im 20-Mann-Team figurieren acht Schweizer. Sébastien Reichenbach ist der routinierte Captain, mit Robin Froidevaux fährt auch der Schweizer Meister für Tudor.
Q36.5 griff auf die Infrastruktur des arrivierten Qhubeka-Teams mit Teamchef Doug Ryder zurück, hat eine Schweizer Lizenz, seinen Hauptsitz jedoch in den Niederlanden. Das 26-köpfige Team ist mit 13 Nationalitäten sehr international, drei Schweizer befinden sich darunter, der interessanteste von ihnen ist Filippo Colombo, auf dem Mountainbike zuletzt die Nummer 2 der Schweiz. Zudem konnte Q36.5 mit Breitling und UBS Schweiz gleich zwei namhafte Sponsoren für sich gewinnen.
Schwerreicher Miteigentümer
Dies war umso bemerkenswerter, als die Verantwortlichen erst Mitte August entschieden, 2023 mit dem Team Q36.5 anzutreten. Zuvor war von 2024 die Rede gewesen. Das Team Tudor hingegen hatte bereits im April sein Projekt für diese Saison angekündigt.
Beim Team Tudor sind die Besitzverhältnisse eindeutig: Fabian Cancellaras interner Titel lautet schlicht: Owner – Eigentümer. Bei Q36.5 ist die Sache zumindest nach aussen nicht so klar. Teamchef Douglas Ryder ist das Gesicht der Equipe. Der Südafrikaner ist eine bekannte Grösse im Profiradsport, er kennt dessen Mechanismen und ist ein Meister des geschliffenen Marketingsprechs. Er besitzt Anteile am Team, die übrigen Eigentümer bleiben im Hintergrund. Es sind dies das Tessiner Ehepaar Sabrina und Luigi Bergamo, die Gründer der Radbekleidungsmarke Q36.5 und so zugleich Hauptsponsoren des Teams.
Ebenfalls Anteile hält mit Ivan Glasenberg einer der reichsten Männer der Schweiz. Der ehemalige Glencore-CEO und Multimilliardär fand als Miteigentümer von Q36.5 zum Radsport. Schliesslich gehört Joko Vogel zum Kreis der Eigentümer, ein bekannter Netzwerker im Schweizer Radsport, der den Langdistanzwettkampf Tortour aufbaute und auch in die Tour de Suisse involviert ist.

Beide Teams wollen wachsen, haben sich zum Ziel gesetzt, in drei Jahren in die oberste Teamkategorie aufzusteigen, zu den Worldteams. Dafür werden sie ihre Kader verstärken müssen. Und das, soll die Swissness weiterhin ein Faktor sein, wohl auch mit arrivierten Schweizer Fahrern. «Das ist gut für die Athleten», sagt Tudor-Teamchef Raphael Meyer. Dann fügt er an, mit Blick auf Q36.5: «Sie sind ein Wettstreiter, haben megaviel Geld zur Verfügung. Ich hoffe nicht, dass es zu einer Wettbewerbsverzerrung kommen wird.» Er sagt das in Anbetracht der finanziellen Potenz der Eigentümer – Budgets kommunizieren beide Teams nicht.
Q36.5-Chef Ryder sagt, auf die künftige Verpflichtung Schweizer Fahrer angesprochen: «Natürlich mögen wir Fahrer wie Marc Hirschi oder Gino Mäder. Solche im Team zu haben, wäre ein Privileg.» Für ihn gehe es aber einzig um die Qualität eines Fahrers, unabhängig von seiner Nationalität. Die Schweizer Sponsoren würden diesbezüglich auch keine Auflagen machen.
Verbale Spitzen gegen die Konkurrenz
Beim Team Tudor sagt Meyer dazu: «Die anderen haben eine Schweizer Lizenz, und das Geld kommt von hier. Aber das Team hat eine andere Philosophie. Wenn ein Schweizer in einem Schweizer Team fahren möchte, muss er selber entscheiden, wie wichtig ihm Swissness tatsächlich ist.» Von den Tudor-Verantwortlichen sind im Gespräch immer wieder Spitzen gegen die innerschweizerische Konkurrenz zu hören. Aber auch bei Q36.5 ignoriert man Tudor nicht. «Natürlich sind sie ein Konkurrent, aber wir arbeiten auch mit ihnen, sprechen miteinander», sagt Teamchef Ryder. Eine deutlichere verbale Spitze war bei der Teampräsentation im Januar von Breitling-Chef Georges Kern zu hören, der sagte, es gäbe da doch noch ein anderes Team – er habe aber gerade dessen Namen vergessen.
Generell fällt auf: Man hütet sich davor, den Namen der Konkurrenz in den Mund zu nehmen. Stets wird das andere Team mit «sie» oder «es» oder «die anderen» umschrieben – ein weiterer Beweis für das Konkurrenzverhältnis.
Das Duell an der Tour de Suisse
Besonders spannend dürfte es angesichts dieser Konstellation im Juni werden. Die Tour de Suisse ist für beide Teams ein grosses Saisonziel. Die Landesrundfahrt hat ihre Wildcards zwar noch nicht offiziell kommuniziert, aber es gilt als gesichert, dass Q36.5 und Tudor zwei der vier Einladungen erhalten werden.
Anders schaut es bei der Tour de Romandie Ende April aus: Diese vergibt seit je nur zwei Wildcards. In diesem Jahr gehen diese an Tudor und – wie in den vergangenen Jahren – an eine Auswahl von Swiss Cycling. Der Verband präsentierte übrigens im Januar einen neuen Sponsor: Tudor.
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