FC Thun: Die Fantastischen Vier
Thun besiegt Lugano 5:2, das Offensivquartett begeistert. Zum äusserst gelungenen Tag passt, dass der Verein sein Spendenziel erreicht hat. Er ist gerettet.
Simone Rapp ist ein abergläubiger Mensch: Vor einem Spiel pflegt Thuns gross gewachsener Angreifer immer dasselbe zu essen: Süsskartoffeln mit Zucchetti und Steak.
Doch womöglich ist dieser Fels von einem Mann zuletzt ins Zweifeln geraten, ob das, was er praktiziert, noch richtig ist. Schliesslich hatte er vor der gestrigen Partie seit Ende Juli nicht mehr getroffen – mindestens eine halbe Ewigkeit in einem Stürmerleben.
Und dann ist am Sonntagnachmittag in der Stockhorn-Arena gegen das formstarke Lugano eine Halbzeit gespielt, und Rapp hat seine Torausbeute in dieser Saison verdoppelt, von zwei auf vier. Zweimal war der Tessiner per Penalty erfolgreich. «Ich bin unheimlich glücklich. Das ist ein Supertag», sagt Rapp nach dem 5:2-Sieg.
Während der 24-Jährige spricht, ruft Nelson Ferreira, das Duschtuch um die Hüfte gebunden, aus dem Kabinengang, Rapp habe nur wegen seiner neuen Frisur getroffen. Der Tessiner trägt jetzt kurz, die Thuner Langhaarfraktion um Ferreira und Kevin Bigler ist um ein Mitglied kleiner geworden.
Aus Aberglaube?
Torhüterwechsel zur Pause
Thuns Sieg mit übernatürlicher Kräften zu deuten, würde der Darbietung des Heimteams allerdings nicht gerecht werden. Die Oberländer agierten von Beginn an spielstark, kombinationsfreudig, dominant. Bereits nach 6 Minuten führten sie durch Christian Fassnacht 1:0. Und sie stürmten gegen überforderte Tessiner weiter, vor allem über die rechte Seite wurde es immer wieder gefährlich.
Nach 18 Minuten traf Flügel Matteo Tosetti den Aussenpfosten, nach 25 erhöhte Rapp auf 2:0. Er hatte den abergläubischen Ratschlag, dass der Gefoulte den Elfmeter nie selber treten sollte, locker-lässig ignoriert. Die Thuner führten zum dritten Mal in Folge 2:0. Aber diesmal liefen sie vor 4821 Zuschauern keine Sekunde Gefahr, den Vorsprung wie gegen Vaduz und YB zu verspielen.
Noch vor Ablauf der ersten halben Stunde erzielte Fassnacht nach einem Corner von Tosetti mit einer Direktabnahme sehenswert das 3:0. Und in der Nachspielzeit der ersten Halbzeit gelang Rapp gar noch das 4:0. Luganos entnervter italienischer Trainer Paolo Tramezzani vollzog in der Pause einen Doppelwechsel.
Dass Torhüter Francesco Russo das Feld verlassen musste, passte zu diesem aussergewöhnlichen Tag. «Heute lief es perfekt», sagt Tosetti. Und Fassnacht meint nach seinen Saisontoren 8 und 9: «Die Bälle, die vorher nicht reingegangen sind, gehen jetzt rein.»
1,5 Millionen gesammelt
Fassnachts Aussage lässt sich statistisch belegen. Bis vor das Vaduz-Spiel hatten sie aus 137 Torabschlüssen gerade einmal 25 Treffer erzielt, der niedrigste Wert der Liga. Jetzt, zwei Wochen später, sind es 36. Kein Team hat in den letzten drei Partien öfters getroffen als die Thuner.
Die Behauptung, sie spielten derzeit den attraktivsten Fussball der Super League, ist nicht gewagt. «Es war nur eine Frage der Zeit, bis wir einmal so hoch gewinnen», sagt Jeff Saibene. Die Aussage des Trainers unterlegt das neue Thuner Selbstverständnis. Nach dem 5:2-Sieg gegen Tabellennachbar Lugano orientieren sich die Oberländer nach oben.
Platz 5, der ziemlich sicher mit der Europa-League-Qualifikation gleichbedeutend wäre, scheint möglich. Nächsten Sonntag empfängt Thun den Fünften St. Gallen. Zudem gab der Klub gestern bekannt, dass er sein Spendenziel von 1,5 Millionen Franken erreicht hat, die Zukunft vorderhand gesichert ist.
Alles gut also? Nicht ganz. «Die beiden späten Gegentore ärgern mich enorm», sagt Saibene. Womöglich wird der Trainer in den nächsten Tagen nicht unfroh sein, seiner Analyse auch ein paar Negativpunkte hinzufügen zu können.
Davon ausgeschlossen ist das Thuner Offensivquartett, die Fantastischen Vier. Der linke Flügel Fassnacht hat in den sechs Partien der Rückrunde viermal getroffen, Stürmer Dejan Sorgic, gestern Schütze des 5:0, gar fünfmal. Sie haben nun je neun Saisontreffer erzielt. Da ist auch der U-17-Weltmeister Matteo Tosetti, der derzeit so stark spielt wie nie zuvor in seiner Karriere, mit zehn Vorlagen nun der zweitbeste Passgeber der Liga ist.
Und da ist Simone Rapp, der nicht über die fussballerischen Fähigkeiten seiner drei Mitstreiter verfügt, mit seiner Physis, Kampfkraft und Kopfballstärke aber eine mustergültige Ergänzung darstellt. «Wir verstehen uns enorm gut», sagt Fassnacht. Und Rapp findet: «Wir spielen momentan sehr stark.»
Bleibt die Frage, ob der Stürmer aus Aberglauben seine Haare vor dem gestrigen Spiel kurz geschnitten hat. Nein, sagt Simone Rapp, es sei eher aus einer Tageslaune heraus geschehen. Gut möglich aber, lässt er sie nach seinen zwei Toren gegen Lugano nicht mehr wachsen. Seinen Coiffeur wirds freuen.
Telegramm:
Thun - Lugano 5:2 (4:0)
4821 Zuschauer. - SR Jaccottet. - Tore: 6. Fassnacht (Sorgic) 1:0. 25. Rapp (Foulpenalty) 2:0. 29. Fassnacht (Tosetti) 3:0. 45. Rapp (Foulpenalty) 4:0. 65. Sorgic (Tosetti) 5:0. 87. Carlinhos (Alioski) 5:1. 88. Sadiku (Alioski) 5:2.
Thun: Faivre; Glarner, Bürgy, Bürki, Facchinetti; Tosetti (78. Ferreira), Hediger, Lauper, Fassnacht (73. Spielmann); Sorgic (67. Peyretti), Rapp.
Lugano: Russo (46. Salvi); Martignoni, Sulmoni, Golemic, Mihajlovic; Sabbatini; Alioski, Crnigoj (46. Carlinhos), Piccinocchi, Mariani (62. Ponce); Sadiku.
Bemerkungen: Thun ohne Reinmann, Markovic, Schindelholz und Bigler (alle verletzt). Lugano ohne Rosseti, Culina, Rouiller, Jozinovic (alle verletzt) und Cümart (nicht im Aufgebot). 18. Pfostenschuss Tosetti. Verwarnungen: 32. Alioski (Foul). 45. Martignoni (Foul). 49. Carlinhos (Foul). 68. Mihajlovic (Foul/im nächsten Spiel gesperrt). 80. Lauper (Foul).
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