Hergestellt in Russland
Moskau tut die Vorwürfe der britischen Premierministerin als «Zirkus» ab. Doch das gegen den Ex-Spion Skripal verwendete Nervengift weist direkt nach Russland.
Russland zeigt sich unbeeindruckt von den britischen Vorwürfen, für den Giftanschlag auf den russischen Ex-Doppelagenten Sergei Skripal und seine Tochter verantwortlich zu sein. «Wir haben damit nichts zu tun», versicherte Aussenminister Sergei Lawrow am Dienstag. Russland sei im Rahmen der Chemiewaffenkonvention zur Zusammenarbeit mit Grossbritannien bereit, zuerst müsse aber auch London seine Verpflichtungen erfüllen. Moskau habe bisher keine Unterlagen in der Sache bekommen. Zuvor hatte Lawrows Sprecherin den Auftritt der britischen Premierministerin Theresa May im britischen Parlament als eine «Zirkusshow» abgetan.
May hatte gestern Abend erklärt, die Analyse des in Salisbury verwendeten Gifts habe ergeben, dass es sich um einen Nervenkampfstoff der Nowitschok-Serie handle, der in der Sowjetunion produziert worden sei. Deshalb gebe es nur zwei Möglichkeiten: Das Nervengift sei vom russischen Staat selbst eingesetzt worden, oder Russland habe die Kontrolle über seine chemischen Waffen verloren. Sie verlangte von Moskau bis heute Abend ultimativ eine Erklärung zu dem Vorfall. Dazu gehört auch ein «vollständiges Dossier» über Nowitschok, das als das gefährlichste Nervengift überhaupt gilt.
Die Substanz wurde in den 70er- und 80er-Jahren entwickelt, doch gingen die Arbeiten offenbar auch nach dem Untergang der Sowjetunion weiter. Der russische Wissenschaftler Wil Mirsajanow veröffentlichte 1992 Details zu dem Programm, just zum Zeitpunkt, als Moskau sich anschickte, die Chemiewaffenkonvention zu unterzeichnen, die Entwicklung, Herstellung, Besitz, Weitergabe und Einsatz dieser Waffen verbietet. Nowitschok sei ohne Beispiel, schrieb Mirsajanow, es sei bis zu zehnmal tödlicher als etwa das Nervengift VX. Russland lagere Zehntausende Tonnen davon, damit könne man Dutzende Millionen Menschen töten.
Gefahrenlos transportierbar
Westliche Experten sagen, dass Moskau heute wohl kleinere Mengen des Giftes besitze, die allerdings noch immer unvorstellbaren Schaden anrichten könnten. Russische Politiker behaupten derweil, die Produktion sei eingestellt und die Lagerbestände vernichtet worden. Das Moskauer Chemie-Institut, das die Waffe entwickelt hat, liess ausrichten, das Thema sei Geheimsache, und man kommentiere keine Presseberichte.
Nowitschok, was so viel wie Neuling heisst, ist auch speziell, weil es sehr schwierig aufzuspüren ist. Es besteht in der Regel aus zwei an sich wenig giftigen Substanzen, die nicht als chemische Waffen gelten und auf keiner Verbotsliste stehen. Erst unmittelbar vor dem Gebrauch werden die Komponenten gemischt. Durch die chemische Reaktion entsteht dann die tödliche Waffe.
Das dürfte den Umgang mit dem Gift für die Attentäter in London massiv erleichtert haben. In seine Komponenten zerlegt, kann Nowitschok gefahrlos transportiert und gelagert werden. Ursprünglich wurde das Gift als feiner Puder produziert, offenbar kann es aber auch als Gas oder Flüssigkeit verwendet werden. Nowitschok wird sowohl über die Atemwege als auch über die Haut aufgenommen und verursacht Muskellähmungen, was zu Ersticken oder Herzstillstand führen kann. Es gibt mehrere Dutzend verschiedene Versionen von Nowitschok. Die weniger giftigen Mixturen werden offenbar als Insektizid verwendet.
Bleibende Schäden bei Überlebendem
Das Nervengift sei 1995 auch in Russland bei einem Anschlag verwendet worden, schreibt die Zeitung «Kommersant». Der Bankier Iwan Kiwelidi starb, nachdem jemand seinen Telefonhörer mit Nowitschok präpariert hatte. Auch die Sekretärin des Mannes starb, ebenso der Pathologe, der die Autopsie vornahm. Der Auftragsmord wurde damals der russischen Mafia zugeschrieben.
Überlebt hat ein Wissenschaftler, der 1987 bei einem Unfall in einem Moskauer Labor mit dem Nervengift in Kontakt kam. Nach zehn Tagen erwachte der Mann wieder aus dem Koma. Allerdings hatte er schwere, bleibende Nervenschäden: Er konnte nicht mehr laufen, seine Arme kaum noch gebrauchen, nicht mehr lesen. Er starb fünf Jahre nach dem Unfall.
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