«Ich bin geehrt, aber auch verwirrt»
Die Union gibt den Widerstand auf: Joachim Gauck wird für das Amt des neuen Bundespräsidenten nominiert. Kurz nach dem Entscheid stellten sich Opposition, Koalition und der Erkorene den Medien.

Der parteilose Theologe Joachim Gauck soll nach dem Willen von Koalition und Opposition der nächste deutsche Bundespräsident werden. Die Union gab am Sonntagabend ihren Widerstand gegen den ehemaligen Bürgerrechtler auf. Dem Entscheid waren zähe Verhandlungen vorausgegangen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte bei einer gemeinsamen Pressekonferenz der Parteispitzen am Sonntagabend in Berlin, die Koalition habe sich mit Rot-Grün nach «intensiven Überlegungen und Abwägungen» auf Gauck geeinigt. Merkel bezeichnete Gauck als «wahren Demokratielehrer», der nun wichtige Impulse für die Globalisierung, Schuldenkrise und mehr Demokratie geben könne. Sie verbinde mit dem Kandidaten vor allem die gemeinsame Vergangenheit in der DDR.
Verlorenes Vertrauen zurückgewinnen
SPD-Chef Sigmar Gabriel meinte: «Ende gut, alles gut.» Gauck könne die Kluft zwischen den Bürgern und der politischen Klasse schliessen. Gabriel lobte ausdrücklich die fairen und offenen Gespräche mit der Koalition über den neuen Bundespräsidenten. Es sei nur bedauerlich, dass Gauck nicht schon 2010 gegen den am Freitag zurückgetretenen Bundespräsidenten Christian Wulff gewählt worden sei. «Deswegen ist es gut, dass er jetzt ein gemeinsamer Kandidat ist.»
Der Theologe Joachim Gauck ist nach Worten von FDP-Chef Philipp Rösler als neuer Bundespräsident in der Lage, «verloren gegangenes Vertrauen in das höchste Staatsamt zurückzubringen». Das erklärte Rösler am Sonntagabend bei der offiziellen Vorstellung Gaucks als Kandidat für die Nachfolge von Christian Wulff.
Niemand ist fehlerlos
Joachim Gauck selbst zeigte sich an der Pressekonferenz nach der Entscheidung gerührt. «Das ist für mich ein besonderer Tag. Am meisten bewegt es mich, dass ein Mensch, der im finsteren, dunklen Krieg geboren ist, jetzt an die Spitze des Staates gerufen wird», sagte er. «Ich kann Ihnen nun keine Grundsatzrede liefern. Ich komme direkt vom Taxi. Frau Merkel hat mich auf dem Handy angerufen. Ich bin noch nicht einmal gewaschen. Aber es macht gar nichts, dass Sie mich hier so verwirrt sehen. Denn niemand ist fehlerlos», sagte Gauck.
Kandidat des Volkes
Gauck war bereits im Sommer 2010 als Kandidat von SPD und Grünen gegen den damaligen Kandidaten des Regierungslagers, Christian Wulff, angetreten und hatte erst im dritten Wahlgang verloren. Deshalb galt Gaucks Aufstellung als unwahrscheinlich. Die Befürchtung in der Union war, dass seine Wahl als Niederlage für Merkel gewertet werden könnte.
Der 72-jährige Gauck kann offenbar auch auf das Vertrauen der Bürger zählen. In einer Emnid-Umfrage für die «Bild am Sonntag» sprachen sich 54 Prozent für Gauck aus.
Belastungsprobe für Koalition
Zuvor hatte sich die Suche nach einem neuen Staatsoberhaupt zu einer schweren Belastungsprobe für die Koalition ausgewachsen. Die FDP-Spitze hatte die Union düpiert, indem sie für den SPD-Favoriten Gauck votierte.
Anders als bei der Bundespräsidentenwahl vor knapp zwei Jahren wollen sich die Koalition sowie SPD und Grüne diesmal auf einen gemeinsamen Kandidaten verständigen.
Die Union hätte sich anstelle von Gauck eher eine Kandidatur des früheren Bundesumweltministers und Ex-Chefs des UNO-Umweltprogramms, Klaus Töpfer, oder des ehemaligen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Wolfgang Huber, gewünscht.
Auch die abtretende Bürgermeisterin von Frankfurt am Main, Petra Roth, wurde zum Kreis der möglichen Kandidaten für die Wulff-Nachfolge gezählt.
Der schwarz-gelbe Favorit Andreas Vosskuhle, Präsident des Bundesverfassungsgerichts, hatte bereits am Samstag eine Kandidatur abgelehnt. Auch Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) sprach sich gegen eine mögliche Kandidatur aus.
Linke nicht involviert
SPD-Chef Gabriel hatte am Samstag bekräftigt, dass ein aktiver Bundesminister als Nachfolger nicht unterstützt werde. Nach Möglichkeit solle auch kein aktiver Politiker einer Partei neuer Bundespräsident werden. Ähnlich äusserten sich Vertreter der Grünen.
Die zum Kandidatenkreis zählenden Minister Thomas de Maizière und Wolfgang Schäuble sowie die Arbeitsministerin Ursula von der Leyen fielen damit aus dem Rennen.
Während Merkel und die Koalition bei der Suche nach einem Nachfolger für Wulff demonstrativ auf SPD und Grüne zugegangen waren, wurde die Linke nicht in die Entscheidungsfindung eingeladen. Linke-Fraktionschef Gregor Gysi erklärte, die Ausgrenzung bedeute den Ausschluss von fünf Millionen Wählern.
Christian Wulff war am Freitag zurückgetreten. Der 52-Jährige zog damit die Konsequenzen aus der Affäre um mögliche Vergünstigungen, die sich seit Dezember hinzog. Sein Nachfolger muss bis zum 18. März gewählt werden.
sda/dapd/wid
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