Kein Gift mehr im Essen
Lebensmittel sollen frei von Pestiziden sein. Darüber wird die Schweiz dank sieben Vätern aus Neuenburg abstimmen können.
Sieben Familienväter tun sich zusammen. Sie machen sich Sorgen, dass ihre Kinder Gift essen müssen. Wenn sie im Sandkasten spielen, über den Pausenapfel, den Salat auf dem Mittagstisch oder sogar über das Trinkwasser. Sie handeln und lancieren kurzerhand eine Volksinitiative.
Heute reichen sie das Anliegen mit rund 140'000 Unterschriften ein. Sie verlangen eine radikale Abkehr von synthetischen Pestiziden. In den Verkauf soll nur noch kommen, was ohne solche Pflanzenschutzmittel gezogen wurde. «Das gelingt heute schon 20 Prozent der Bauern, wieso sollen es nicht auch die anderen 80 Prozent so machen», sagt Olivier de Meuron. Er gehört dem Initiativkomitee an und ist Unternehmer. Sein Business: der Handel mit Lebensmitteln.
Offenbar trafen die sieben Männer zwischen 35 und 55 Jahren einen Nerv. Denn sie brachten die Unterschriften ganz ohne Unterstützung von etablierten Parteien zusammen. Gelungen sei dies mit der Hilfe sozialer Netzwerke, von Onlinesammlungen und Studentengruppen, so de Meuron.
Bauern warnen vor Ernteausfällen
Der Schweizer Bauernverband warnt, ohne Pestizide würden die Ernten um 20 bis 40 Prozent zurückgehen, in schlechten Jahren sogar um die Hälfte. De Meuron macht das keinen Eindruck. Immerhin: «Ich sage nicht, dass es einfach wird, das Ziel der Initiative zu erreichen.» Doch er traue der Forschung zu, dass sie Wege finden wird, damit weiterhin genügend Nahrungsmittel zur Verfügung stehen.
Die Mitte Januar dieses Jahres eingereichte Trinkwasserinitiative ist den sieben Männern aus Neuenburg nicht konsequent genug. Diese sieht vor, dass Bauern keine Subventionen erhalten, wenn sie weiterhin Pflanzenschutzmittel ausbringen. Der Bundesrat wird sie demnächst behandeln. Verwaltungsintern wird ein Gegenentwurf diskutiert. Dies zeigt, dass man in Bundesbern Respekt vor den Anliegen hat.
Parallel dazu treibt das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) einen Aktionsplan für Reformen beim Pflanzenschutz voran, mit dem die Risiken bis 2030 halbiert werden sollen. Denn die Landwirtschaft erreicht heute die vom Bund gesteckten Umweltziele auch in diesem Bereich nicht. Schweizer Bauern spritzen im internationalen Vergleich viel, rund 2000 Tonnen pro Jahr. Rückstände davon sind auch in Lebensmitteln und im Trinkwasser nachweisbar.
Insektensterben als Indiz
Aus der Wissenschaft sind besorgte Stimmen zu hören. Kürzlich ergab eine breit angelegte Studie, dass die Zahl der Insekten teilweise um drei Viertel zurückgegangen ist. Als Ursache wird die intensive Landwirtschaft vermutet. Am Mittwoch veröffentlichte die deutsche Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina eine weitere Studie zum Thema. Deren Titel lehnt sich an das Insektensterben an: «Der stumme Frühling: Zur Notwendigkeit eines umweltverträglichen Pflanzenschutzes». Die Autoren fordern im Unterschied zur nun eingereichten Volksinitiative zwar kein Verbot, sehen aber ebenfalls dringenden Bedarf zu handeln.
Laut den Agrarwissenschaftlern, Biologen und Toxikologen hat der Pestizideinsatz einen Punkt erreicht, an dem «wichtige Ökosystemfunktionen und Lebensgrundlagen ernsthaft in Gefahr sind». Die Experten kritisieren die lückenhaften Zulassungsvoraussetzungen für Unkrautvernichter, Pilzmittel und Insektengifte. Die Verfahren hätten in der Vergangenheit bereits zu eklatanten Fehleinschätzungen geführt. Eine simple Reduktion der Menge reiche nicht. Sie verlangen strengere Zulassungsverfahren und ein besseres Monitoring zu den Auswirkungen. Zudem müssten die Landwirte gezielt geschult werden, um die Nebenwirkungen zu verringern.
Die Schweiz stützt ihre Verfahren auf jene der EU ab. Die Befunde aus Deutschland dürften also auch hier gelten. Das BLW hat nebst dem erwähnten Aktionsplan darum gemeinsam mit dem Kanton Bern 2017 ein Pilotprojekt lanciert, das auch von den deutschen Experten angemahnte Themen aufgreift.
Sollte die Erfolgsstory der sieben Familienväter aus Neuenburg weitergehen, wären die Bemühungen der Behörden sowieso hinfällig. Dann müsste sich die Schweizer Landwirtschaft wohl oder übel komplett zum Bioland Schweiz entwickeln.
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