Kein Postauto, dafür ein haushohes Ja zum Tram
In Seehof im Berner Jura sprachen sich 87,5 Prozent der Stimmenden für das Tram von Bern nach Ostermundigen aus. Dabei kennt die Kleingemeinde den ÖV nur vom Hörensagen.

Die Fahrt im Auto dauert ab Bern gut und gern fünf Viertelstunden. Kurz vor dem Ziel wird die Strasse immer schmaler, und von links wie rechts scheinen die Juraketten mit ihren steilen Abhängen immer näher zu rücken. Zu guter Letzt springt das Radio, das inzwischen ohnehin nur noch knistert und scheppert, vom vertrauten Deutschschweizer auf einen welschen Sender über – und dann ist man da.
In Seehof, knapp 90 Kilometer von Bern entfernt im nördlichsten Zipfel des Berner Juras auf einer Höhe von 750 bis 1150 Metern über Meer gelegen. In einer Gemeinde mit gerade mal 68 Einwohnern, deren Kern aus zwei Häusergruppen mit den Namen Chly-Karlisberg und Gross-Karlisberg sowie einer Reihe verstreuter Bauernhöfe besteht.
Die Post hat sich längst aus diesem entlegenen Landstrich zurückgezogen, wo nach wie vor die Landwirtschaft als Erwerbszweig dominiert. Den Laden und die Beiz gibts auch nicht mehr, und seit drei Jahren gehört auch die Schule der Vergangenheit an.
Heute werden die noch fünf, sechs Kinder über die Sprachgrenze ins regionale Schulzentrum Grandval gefahren. Denn auch ein Postauto oder einen Linienbus gibt es in Seehof nicht – und ausgerechnet diese Gemeinde hat am Wochenende das Tram von Bern nach Ostermundigen bei 14 zu 2 Stimmen mit einem überwältigenden Ja-Anteil von 87,5 Prozent angenommen?
Und sich so nicht nur kantonsweit an die Spitze der Befürworter gestellt, sondern auch die Stadt Bern mit ihrem satten Mehr von 65 Prozent überflügelt? Obwohl diese ja direkte Nutzniesserin des Vorhabens ist?
Stets ein offenes Ohr
Arthur Bongni, 64-jährig, Landwirt und seit sechzehn Jahren der Gemeindepräsident in Seehof, lächelt. Die Besucher aus der Stadt empfängt er auf dem Pausenplatz beim Stein mit den gelben, roten und schwarzen Farbresten, die unschwer die Umrisse eines verblichenen Berner Bären erahnen lassen.
Der Block sei zum einen «ein Relikt aus der Zeit der Juraplebiszite», sagt er mit einem Blick zurück in die 1970er-Jahre, als sich der Nordjura von Bern löste. Und gleichzeitig irgendwie doch auch aktuell: «Uns ist sehr wohl im Kanton Bern.»
Genau damit, das lässt Bongni später im Schulhaus offen durchblicken, hat wohl das haushohe Ja zum Tram zu tun. Er redet von einem «Zeichen der Solidarität mit den übrigen Kanton», sinniert weiter: Als Gemeinde, die nicht mit Bahn und Bus erschlossen sei, wisse man einen guten öffentlichen Verkehr wohl besonders zu schätzen.
Zu Hause erlebe man hautnah mit, wie mühsam es sei, kein Auto zu besitzen und für jeden Einkauf eine Mitfahrgelegenheit organisieren zu müssen: «Wenn wir in die Stadt reisen, geniessen wir es auch, einfach in den Bus oder ins Tram einsteigen zu können.»
«Uns ist sehr wohl im Kanton Bern.»
Auch sonst sei Seehof vom Kanton gut gehalten. Der Gemeindehaushalt sei dank des Finanzausgleichs im Lot und die Steuerbelastung erträglich, generell habe man das Gefühl, dass die Verwaltung in Bern stets «ein offenes Ohr für unsere Bedürfnisse» habe.
Er sei nur über die Festnetznummer erreichbar, da der Handyempfang im Tal nicht genüge, hatte Bongni vor dem Besuch erklärt. Nun, da er im seine Gemeinde vorstellt, berichtet er von nahender Besserung. Die Swisscom wolle noch dieses Jahr eine Glasfaserleitung nach Seehof ziehen. Damit werde auch ein neuer Handysender gebaut, «und dafür sind wir sehr dankbar».
Allein mit den Einnahmen aus der Region liesse sich diese Investition nämlich nicht finanzieren, dafür seien Erträge aus den dicht besiedelten städtischen Gebieten nötig – da ist er wieder, der Gedanke der Solidarität.
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