Timmermahns Exzess
Ein Hoch auf die Völlerei: Im Universum des Berner Malers und Autors Timmermahn gehts drunter und drüber. Vor der Premiere seines neuen Theaters haben wir dem Berner Original einen Besuch abgestattet.

Im Schlosskeller Fraubrunnen scheiden sich bald die Geister. Ein Mann mit grauem Bart sitzt vorn an seinem Tischchen. «Liebi Lüt vo Stadt und Land, e guete Abe mitenand», eröffnet Timmermahn und beginnt zu erzählen. Vom sandwichsüchtigen «Sandwich-Role».
Vom «trinkfreudige Feschtchlapf-Vreneli». Vom «Usflug mit Grosi». In seinem Superhit, dem Grosi, den er bei jeder Lesung bringt, um die Fans nicht zu enttäuschen, geht es im Wesentlichen darum, dass ein Grosi in einen Landgasthof ausgeführt wird und so viele währschafte Speisen in sich schaufelt, dass es auf der Rückfahrt zum grossen Unglück kommt.
Wenn Timmermahn seine abstrusen und sprachgewaltigen Mundartgeschichten vorträgt, in denen es im Kern gerne um Völlerei und Exzess geht, dann lachen sich die einen schwindlig und lösen ihr Taschentuch in Tränen auf. Die anderen schauen verdutzt bis angewidert nach vorne. Sind die Wortgewitter, das textuelle Wetterleuchten und Palavern dieses Mannes, geistreich oder einfach nur geschmacklos?
Für die Fans ist Timmermahn ein Genie, für seine Freunde ein geselliger Unterhalter und Garant für rauschende Feste. Zu seinem 70. Geburtstag kamen Hunderte ins National. Für Bern ist der heute 76-Jährige, der sich irgendwo zwischen jungenhaftem Schalk und Greisenalter bewegt, eines der letzten Originale.
Wer ist dieser Timmermahn?
Hoch hinaus
Die Suche nach der Antwort auf diese Frage führt nach Bern Wittigkofen, Jupiterstrasse. Das Hochhausquartier am Berner Ostrand mit seiner speziellen Mischung aus Urbanität und verschwenderischer Weite ist seit zwei Jahren die neue Heimat von Timmermahn und seiner Frau Sandra Klein. Nach 25 Jahren Landleben in Rüeggisberg ging es zurück in die Stadt.
Im Foyer des Hochhauses hängt das Klingelbrett von der Grösse einer aufgeschlagenen deutschen Zeitung. «Zu wem wollen Sie?», fragt ein Rentner, der sein Postfach leert. «Zu Timmermahn.» «Ah, ohä», sagt der Mann und lächelt. Das Original, man kennt es, es ist die grosse Nummer vom 24. Stock.
«Es kommen Leute mit Zuckerkrankheit auf die Welt. Ich kam auf die Welt und merkte, dass ich arbeitsscheu bin.»
«Bier, oder ein Glas Weissen?», fragt Timmermahn, als er um 11 Uhr die Tür öffnet. Wir entscheiden uns für Kaffee und erhalten einen Starbucks-Milchshake. «Das ist das Beste, was es gibt.» Leo, eine der beiden Katzen, fordert hartnäckig Streicheleinheiten ein. Laut Timmermahn trinkt er am liebsten Ovomaltine. Mit seinem Herrchen teilt er das Glück einer beneidenswert vollen Haarpracht.
Timmermahn, der leidenschaftliche Motorradfahrer, ist nicht nur Geschichtenerzähler. Er ist auch Maler und Theaterautor. Nächste Woche wird sein Stück «Blöffers Hochzyt» in Wabern uraufgeführt. Es ist die Fortsetzung von «Der Blöffer», der vor zwei Jahren in der Heitere Fahne in Wabern gezeigt wurde, ein abstruses Stück mit wilden Wendungen wie in Timmermahns Kurzgeschichten.
Fieber wegen Rotkäppchen
«Mit dem Theater war ich immer verbunden», sagt er und erzählt eine Geschichte, nicht die erste und nicht die letzte an diesem Tag. «Als ich als Junge bei meinem Grossmuetti in Langenthal zu Besuch war, ich war 5, ich hatte hohes Fieber. 41 Grad, es ging einfach nicht weg. Wir gingen zu Doktor Bitterli. ‹Wart ihr fort mit ihm?›, fragte er Grossmutter. ‹Ja›, hat die gesagt, ‹im Stadttheater Langenthal. Rotkäppchen.› Doktor Bitterli nahm mich zur Seite. ‹Du, Bueb!› Dann kam heraus, dass es mir schlecht eingefahren war, dass der Wolf die Grossmutter gefressen hat und Rotkäppchen auch noch dazu.»
Doktor Bitterli erklärte dem Jungen, dass sie gar nicht richtig gegessen wurden. «Dann ging das Fieber wieder runter. Aber ich war so enttäuscht, dass die mich so beschissen haben im Theater.»
Bevor Timmermahn zum Theater kam, geriet er auf die schiefe Bahn. Als Teenager nahm er Kioske aus, knackte Mofas, «e chli Mundräubele, öppen es Schlegereili». Das läpperte sich. Die Jugendanwaltschaft verschrieb ihm eine Lehrstelle als Dekorateur. Dabei mochte Timmermahn nicht arbeiten.
«Es kommen Leute mit Zuckerkrankheit auf die Welt. Ich kam auf die Welt und merkte, dass ich arbeitsscheu bin.» Die Lehre war eine Qual für ihn. «Da kriegst du korbweise Ware und musst das im Schaufenster büschelen. Das ist nichts anderes als Aufräumen. Das Zimmeraufräumen habe ich als Kind schon gehasst.»
Langeweile im Stadttheater
Er wollte malen, brauchte aber einen Brotjob. Im Stadttheater Bern fand er eine Anstellung als Kulissenmaler. In den Opern und Theateraufführungen langweilte er sich schrecklich, sodass er nach einer Saison den Bettel hinschmiss. Nun zog es ihn in die Ferne. Er wollte aufs Schiff. So fuhr er in die belgische Hafenstadt Antwerpen. «Ich dachte, ich könne einem Kapitän in der Hafenkneipe meinen Bizeps zeigen, und gut ist.» Doch aus dem Anheuern wurde nichts. Selbst die erfahrenen Seeleute fanden keine Arbeit mehr.
Dafür verliebte sich Timmermahn und blieb in Holland hängen. Doch mit seiner Malerei verdiente er kein Geld. Dass er dennoch ganz gut über die Runden kam, verdankte er Meret Oppenheim, die er gut kannte, weil er in Bern ein Teil des Künstlerkuchens war. Er rief sie an und klagte ihr sein Leid. Sie forderte ihn auf, ihr Bilder zu schicken, die sie in Bern verkaufen wolle – und schickte ihm Geld. «Wahrscheinlich hat sie kein Bild verkauft und mir einfach so Geld geschickt. Sie war eine Gute.»
Später, zurück in der Schweiz, hatte Maler Timmermahn plötzlich selber Erfolg mit seinen farbigen, kräftigen Bildern, plötzlich war er der Shootingstar der Kunstszene. «An einer Vernissage habe ich einmal 250'000 Franken eingenommen an einem Abend.» Das Leben zwischen Boheme und Schickeria, zwischen 68er-Geist und Kunstmarkt war aufwendig. «50'000 gingen gleich für das weisse Pulver drauf», erzählt Timmermahn.
Das Kokain, das er zeitweise exzessiv konsumierte, kommt auch in seinen Theaterstücken vor: Als Simmelimehl, das auch schon mal den Protagonisten bereits vor der Pause ausser Gefecht setzt. In den 90er-Jahren schrieb er drei Stücke über die «Sunnegger». Nach einer längeren Pause folgte 2016 «Der Blöffer».
Schauplatz bleibt das Universum Timmermahn. Wiederkehrende Figuren wie Walterli, gespielt von Ursula Stäubli, bevölkern es. Die kräftige, unzimperlich-blumige Mundart, in der gelegentlich auch gechläpft wird, ist Timmermahns Heimat. Bei ihm wirkt auch ein Chlapf gut und gerne poetisch.
Keine halben Sachen
Geldsorgen kennt Timmermahn heute nicht mehr. Irgendwann haben er und seine Frau angefangen, Immobilien zu kaufen, «zuerst ein Haus, dann noch eines, dann ein Blöckli». Früher war er Stammgast beim SCB, jüngst hat er zu YB gewechselt. Er hat nicht etwa ein Saisonabo, sondern einen Logenplatz.
«Eine Stunde vor dem Spiel kannst du kommen, dann hats einen super Apéro, und das Meisterbier steht bereit. In der Pause kannst du nachtanken. Die machen das super.» Timmermahn kleckert nicht, er trägt dick auf, er macht keine halben Sachen, er geht kompromissfrei an die Schmerzgrenze des guten Geschmacks. Das lieben seine Fans von Stadt und Land.
«Blöffers Hochzyt»:Do, 7. 6., 20 Uhr (Premiere), weitere Vorstellungen bis 18. 6., Heitere Fahne, Wabern. www.dieheiterefahne.ch.
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