«Die WG ist ein Randphänomen»
Beim Kongress des Schweizerischen Verbands für Seniorenfragen in Bern drehte sich alles ums Wohnen im Alter. Ein Gespräch mit Ernst Hauri vom Bundesamt für Wohnungswesen.
Herr Hauri, der Grossteil der älteren Personen hier zu Lande möchte so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden wohnen bleiben, obwohl laut «Age Report» der Schweizerischen Age-Stiftung 51 Prozent wissen, dass das mit altersbedingten körperlichen Einschränkungen gar nicht möglich ist.
Ernst Hauri: Die meisten verdrängen wohl dieses Problem. Sie denken vermutlich, dass eher die anderen von körperlichen Gebrechen heimgesucht werden und sie selbst aber ewig fit bleiben.
Viele setzen sich also nicht ernsthaft mit der Wohnsituation im Alter auseinander?
Doch, die meisten älteren Leute machen sich Gedanken darüber, aber nur die wenigsten handeln. Zwischen der Erkenntnis, dass man Dinge in die Wege leiten sollte und der tatsächlichen Handlung liegt eine grosse Diskrepanz.
Alte Menschen, die alleine leben, klagen oft über Einsamkeit und hohe Lebenshaltungskosten. Eine Alters-WG würde Abhilfe schaffen, doch diese Wohnform ist in der Schweiz nicht beliebt?
Hier sind ältere Leute eine gemeinsame Haushaltsführung zusammen mit anderen nicht gewohnt. Ich würde sogar sagen, dass ihnen der Gedanke völlig fremd ist. In der Regel haben sie auch hart daran gearbeitet, dass sie sich allein oder mit der Familie Wohnraum oder -eigentum leisten konnten. Sind die Kinder ausgeflogen und der Partner vielleicht nicht mehr da, würde ein Umzug in eine WG für viele einen Rückschritt bedeuten. Aber auch in Sachen Nachhaltigkeit halte ich Alters-WGs für problematisch. Solange Bekannte oder Freunde zusammen wohnen können, mag ja alles schön und gut sein. Aber was ist, wenn einer ins Pflegeheim muss oder stirbt? Dann muss ein Nachfolger gefunden werden, und das funktioniert dann vielleicht überhaupt nicht mehr. Ich denke, dass aus diesen Gründen diese Wohnform eine Randerscheinung bleiben wird. Vielleicht wird sie für künftige Generationen von Senioren, die in ihrer Jugend viel mit WGs experimentiert haben, eine Alternative sein.
Auch Seniorenresidenzen konnten sich nicht durchsetzen?
Ihnen haftet der Ruf an, nur eine Möglichkeit für Gutbetuchte zu sein. Leider hat man es in der Schweiz bislang nicht geschafft, ähnliche Angebote auf einem tieferen Preisniveau anzubieten. Das sehe ich noch als grosse Herausforderung.
Wie sieht denn generell die altersgerechte Wohnsituation in der Schweiz aus?
Das wissen wir nicht. Bei Wohnungszählungen werden diese Details leider nicht abgefragt. Wir können dazu nicht einmal Schätzungen anstellen.
2005 lebten hier 340000 über 80-Jährige. 2030 soll ihre Zahl bereits doppelt so hoch sein. Was muss denn von staatlicher und privater Seite getan werden, damit auch Hochbetagte entsprechend wohnen können?
In der Privatwirtschaft gibt es ganz interessante Angebote, wie zum Beispiel das Bonacasa-Modell. Es vereint selbstständiges Wohnen mit dem Angebot von Dienstleistungen. Ähnliche Ansätze lassen sich auch beim genossenschaftlichen Wohnungsbau beobachten, den wir vom Bund her etwas unterstützen können. Vor allem Privatinitiativen unter den Leuten halte ich für wichtig.
Wie sollen diese aussehen?
Dass sich ein paar Leute zusammentun, ein Haus kaufen und dort alle Wohnungen altersgerecht bauen oder umrüsten lassen. Diese Lösung ist sicher viel nachhaltiger als eine WG.
Gibt es schon viele dieser Initiativen?
Das Problem ist, dass in der Schweiz 50 Prozent aller Mietwohnungen Privatleuten gehören, die vielleicht ein oder zwei Häuser besitzen. Sie für diese Problematik zu sensibilisieren, fällt viel schwerer als bei einem Grossinvestor. Dem fällt es leichter, schnell einmal 10000 hindernisfreie Wohnungen bauen zu lassen.
An welchen europäischen Ländern könnte man sich ein Vorbild in Sachen altersgerechtes Wohnen nehmen?
In Schweden ist es die Norm, hindernisfrei zu bauen. Bei uns führte das Behindertengleich-stellungsgesetz von 2004 zwar dazu, dass in Gebäuden mit acht und mehr Wohnungen Haus- und Liftzugänge oder Flure hindernisfrei gebaut werden müssen, doch die einzelnen Wohnungen betrifft das nicht.
Was kann der Bund tun, um dieses Bewusstsein stärker in der öffentlichen Meinung zu verankern?
Wir können vor allem noch die verschiedenen Akteure stärker miteinander vernetzen. Und durch Tagungen, Broschüren und Websites auf die Problematik aufmerksam machen. Auch muss der Erfahrungsaustausch zwischen der West- und der Deutschschweiz noch verstärkt werden. In der Romandie ist es üblich, dass die alten Leute so lange zu Hause bleiben, bis sie ins Pflegeheim müssen. Hier bei uns gibt es immerhin schon einige Zwischenstufen zwischen der eigenen Wohnung und dem Pflegeheim.
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