Welchen Sinn hat der offene Brief?
Offene Briefe haben sich zunehmends als satirische Publikumsbeschimpfung etabliert. Den Beigeschmack des kalkulierten Wutbürger-Ausbruchs werden sie aber nicht los.
In allerhand Zeitungen grassieren die Kommentare in Form eines offenen Briefes, in dem ein äusserst umsichtiger Kolumnist sich an eine öffentliche Person wendet. Bundesräte, Fussballtrainer oder Ex-Missen werden darin gelobt oder getadelt, obwohl der Kolumnist davon ausgehen kann, dass der Text für den Adressaten völlig unbedeutend ist. Warum nervt mich diese Kommentarform so stark, dass ich sie nicht ignorieren kann? A. R.
Verdient hatte Luise Rinser den Spott allemal; aber das Gefühl, dass es sich bei diesen «Briefen» um allzu selbstgewisse Botschaften an die Peergroup der Gleichgesinnten handelte, schlich sich gleichwohl ein. Wenn heutzutage Glogger im «Blick am Abend» Obama runterputzt, dann hat das lediglich den Hautgout eines kalkulierten Wutbürger-Ausbruchs zugunsten eines gleich gestimmten Publikums. Da sich Herr Obama um die Ansichten Herrn Gloggers foutieren wird (schon deshalb, weil er niemals davon Kenntnis bekommt), wirkt die Sache in etwa so kindisch wie ein Erwachsener, der einen Protestbrief an den Weihnachtsmann schreibt, weil er ihm die falschen Geschenke gebracht hat.