Mit der Kraft des Ozeans
Kleine Bühne, grosse Oper. Das Theater Orchester Biel-Solothurn präsentiert mit Bizets «Les pêcheurs de perles» eine seltene und glänzende Perle.

Ein Bungalow an einem Strand in Indien. Ein Mann wälzt sich in seinem Bett, steht auf, betrinkt sich. Die Verzweiflung ist ihm anzusehen. Der Fischer Zurga weiss, dass er am Morgen hingerichtet wird. Regisseur Louis Désiré zeigt Georges Bizets Oper «Les pêcheurs de perles», zu Deutsch «Die Perlenfischer», als intensives Kammerspiel in einer Retrospektive.
Eine Männerfreundschaft zerbricht an der Liebe zur selben Frau, der es als Schutzpatronin der Fischer auferlegt ist, nicht zu lieben. Die Bestrafung mit dem Tod erfolgt, weil Zurga nachgibt und die Angebetete mit seinem Freund Nadir ziehen lässt.
Männerduett für die Ewigkeit
Der Dreiakter wurde 1863 in Paris uraufgeführt und war die erste grosse Oper des Komponisten, der zwölf Jahre später mit «Carmen» Geschichte schreiben sollte. Die Premierengäste in Biel konnten sich am Sonntag davon überzeugen, dass der Franzose auch schon in jungen Jahren ein Dramatiker und Melodiker war.
Das Männerduett «Au fond du temple saint» im ersten Akt ist eines der schönsten im Opernrepertoire. Aram Ohanian als Zurga und Manuel Núñez Camelino als Nadir lassen diese Perle, die sich auch als Leitmotiv durch das Opus zieht, empathisch schimmern und sorgen für das erste Highlight in dieser auf neunzig Minuten gestutzten Version.
Im Panic-Room
Die kürzere Fassung ist aus den 1960er-Jahren und hilft Louis Désiré, die heroische Geschichte zu entmystifizieren. Der Regisseur vertraut in seiner Lesart auf die klar gezeichneten Charaktere Zurga und Nadir sowie die buddhistische Priesterin Leila und deren Konflikt. Eric Martin-Bonnet ergänzt das Schicksalstrio als religiöser Eiferer Nourabad mit starken Auftritten. Die Personenführung ist unaufgeregt und gibt der rhythmisch-dramatischen Partitur von Georges Bizet Raum zur Entfaltung.
Der Chor ist in seiner Funktion als Dorftribunal schemenhaft zu erkennen und agiert ausserhalb der Strandhütte. Umso giftiger erschallen die Rufe aus dem Freien nach Vergeltung. Zurgas Erinnerung gerät zum emotionalen Trip, der Ort wird zum Panic-Room. Verstärkt wird die Beklemmung durch düstere Lichteffekte und schauerlichen Kerzenschein.
Eine lodernde Kraft
Die Stimme des Baritons Aram Ohanian offenbart immer mehr Farben und Nuancen. Sein Zurga bebt sonor im Zorn und berührt in den feineren Passagen. Manuel Núñez Camelino kriegt seine anfängliche Nervosität, die ein Zittern in den Höhen generiert, in den Griff. Spätestens mit der Romanze «Je crois entendre encore» hat er den Saal für sich.
Angélique Boudeville bringt das Haus zum Vibrieren. Ihr beweglicher Sopran hat ein dunkles Timbre und pariert jede Phrasierung. Am Anfang als Göttin Leila wünschte man sich die Koloraturen etwas feingliedriger, dafür ist sie später als liebende Frau eine lodernde Kraft. Das Sinfonie Orchester Biel-Solothurn unter der Leitung von Benjamin Pionnier entfesselt die rare Perle von Bizet in all ihrer Poesie, Lyrik und Dramatik und peitscht einem die Kraft des geballten Ozeans mitten ins Herz.
Vorstellungen: bis 31. Mai, Theater Orchester Biel und Solothurn.
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