Obama findet Lauschangriffe «nicht überraschend»
Die Empörung über die NSA-Spionage in Europa ist gross, Frankreichs Präsident Hollande droht gar mit der Blockade von Verhandlungen. US-Präsident Obama weist die Kritik zurück.
US-Präsident Barack Obama hat die Vorwürfe mit Blick auf mutmassliche US-Abhörpraktiken in der Europäischen Union zurückgewiesen. Dass Regierungen einander ausspähten, sei nicht überraschend, erklärte Obama bei seinem Besuch in Tansania. Die USA würden ihre Verbündeten jedoch über die aktuellen Berichte über Ausspähaktionen des Geheimdiensts NSA informieren.
Obama reagierte damit auf eine Welle der Empörung in Europa. Das deutsche Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» hatte über Lauschangriffe des US-Geheimdienstes NSA auf EU-Einrichtungen in New York, Washington und Brüssel berichtet. Die Zeitschrift beruft sich auf Dokumente des früheren US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden.
«Wir sind dabei, den Artikel zu prüfen», sagte Obama am Rande seiner Afrikareise in Daressalam in Tansania. Es sei noch unklar, welche Geheimdienstprogramme darin genau angesprochen worden seien. «Danach werden wir unsere Verbündeten angemessen unterrichten.» Alle Geheimdienste in der Welt – auch die der EU – sammelten Informationen jenseits von Medienberichten, fügte der US-Präsident hinzu.
Freihandelsabkommen als Druckmittel
François Hollande hatte zuvor deutliche Worte gewählt: «Wir können ein solches Verhalten unter Partnern und Verbündeten nicht akzeptieren», sagte der französische Staatschef am Montag in Lorient. «Wir verlangen, dass das sofort aufhört.» Hollande fügte hinzu: «Wir wissen, dass es Systeme gibt, die kontrollieren müssen, unter anderem im Kampf gegen den Terrorismus. Aber ich denke nicht, dass dieses Risiko in unseren Botschaften oder der Europäischen Union besteht.»
Hollande drohte zudem mit einer Blockade der anstehenden Verhandlungen zwischen EU und USA über das geplante transatlantische Freihandelsabkommen. Es könne «Verhandlungen oder Transaktionen in allen Bereichen» nur geben, wenn es von Seiten der USA «Garantien» gebe. Dies gelte für Frankreich wie für die gesamte Europäische Union.
Der italienische Staatspräsident Giorgio Napolitano forderte ebenfalls Antworten von den USA. «Das ist eine heikle Angelegenheit, die zufriedenstellende Antworten braucht», sagte Napolitano der Nachrichtenagentur Ansa zufolge am Montag in Zagreb.
Als «wirkliche Katastrophe» bezeichnete Fabrizio Cicchitto, Vorsitzender des Aussenausschusses im italienischen Abgeordnetenhaus, den Skandal. «Eine Situation, die zugleich tragisch und grotesk ist», sagte er.
Kerry: «Nicht unüblich»
US-Aussenminister John Kerry hat Kritik an den Spähprogrammen der US-Geheimdienste zurückgewiesen. Es sei «nicht unüblich», dass Staaten Informationen über andere Länder sammelten, sagte Kerry heute nach einem Treffen mit der EU-Aussenbeauftragten Catherine Ashton im südostasiatischen Brunei.
Einen Kommentar zu Medienberichten, wonach der US-Geheimdienst NSA diplomatische Vertretungen der EU sowie mehrerer europäischer Staaten in den USA verwanzt und ausgespäht haben soll, lehnte Kerry ab. Er könne sich dazu nicht äussern, weil er sich auf Reisen befinde, sagte der Aussenminister.
Wanzen in Botschaften installiert
Zuvor wurde bekannt, dass der US-Geheimdienst nach Informationen des «Guardian» auch die diplomatischen Vertretungen von Frankreich, Italien und Griechenland in Washington und bei den Vereinten Nationen ausgespäht hat. Die NSA habe in den Botschaften und UN-Vertretungen unter anderem Wanzen installiert und Kabel angezapft, berichtete die britische Zeitung gestern auf ihrer Internetseite unter Berufung auf Dokumente des flüchtigen IT-Spezialisten Edward Snowden.
Auch in Deutschland wurden demnach monatlich rund eine halbe Milliarde Telefonate, E-Mails oder SMS überwacht. Laut «Spiegel» betrachten die USA Deutschland zwar als Partner, zugleich aber auch als Angriffsziel.
«Abhören von Freunden, das geht gar nicht»
Die Bundesregierung hat mit Sorge auf diese Berichte reagiert. Die Regierung habe darauf «mit Verwunderung, besser gesagt mit Befremden zur Kenntnis genommen», sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. Dieses Befremden sei am Wochenende auch der US-Regierung übermittelt worden, die nun für Aufklärung sorgen müsse. Das Auswärtige Amt lud nach Angaben eines Sprechers den US-Botschafter Philip Murphy in Berlin ein, um über das Thema zu sprechen.
Seibert betonte, dass die Informationen bislang auf Medienberichten, nicht auf eigenen Erkenntnissen der Bundesregierung beruhten. Sollten sich die Berichte aber bestätigen, müsse es Konsequenzen geben. «Abhören von Freunden, das geht gar nicht, das ist inakzeptabel», sagte der Regierungssprecher. «Wir sind nicht mehr im Kalten Krieg.»
Seibert deutete an, dass die Regierung schon jetzt das Vertrauensverhältnis als gestört ansehe. Die USA und die EU seien Freunde, «also muss Vertrauen die Basis unserer Zusammenarbeit sein», sagte er. «Vertrauen muss in dieser Angelegenheit wieder hergestellt werden.»
Nach Seiberts Angaben stimmt das Auswärtige Amt derzeit mit den europäischen Partnern das weitere Vorgehen ab. Es müsse gegebenenfalls eine «sehr deutliche Reaktion» der EU geben. Über die richtige Balance zwischen den Sicherheitsinteressen der Geheimdienste und dem Schutz der Privatsphäre «müssen wir sehr ernsthaft mit unseren Partnern in Amerika sprechen».
Empörung in Brüssel
Die SPD forderte unterdessen auch Konsequenzen für den Bundesnachrichtendienst. «Unsere Spionageabwehr muss auf ihre Effektivität überprüft werden, wenn es ausländischen Geheimdiensten ohne Mühe möglich ist, die Telefonate und E-Mails deutscher Bürger millionenfach abzufangen und auszuwerten», sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, der «Frankfurter Rundschau».
Offenbar gebe es auch in den USA «eine Geringschätzung der deutschen Nachrichtendienste». Dass sich die NSA deshalb quasi an deren Stelle gesetzt habe, um «eine Art Oberkontrolle in Deutschland einzuführen», widerspreche jedoch dem Grundsatz der Souveränität.
Die Berichte stiessen auch in Brüssel auf heftige Empörung. EU-Kommissarin Viviane Reding drohte damit, die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA ruhen zu lassen, sollten die Berichte zutreffen. «Partner spionieren einander nicht aus», sagte sie in Luxemburg. In welchen Ausmass die Schweiz betroffen ist, ist noch nicht bekannt.
AFP/sda/dapd/mrs/fko
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