Pipilotti Rists Augapfelmassage für die Korallen
Ausnahmezustand im Hallenbad Hirschengraben: Die Videokünstlerin Pipilotti Rist machte mit einer Licht- und Bildprojektion auf das Korallensterben aufmerksam.
Meergrün gefärbte Haare, ein gelbes Badekleid, eine blau getönte Brille und eine knallgrüne Armbanduhr. So tritt die Videokünstlerin Pipilotti Rist vor die Medien im Hallenbad Hirschengraben.
Sie ist allerdings nicht nur als Farbtupfer gekommen, sondern als Aktivistin mit einer ökologischen Mission. Gemeinsam mit dem WWF will die weltberühmte Schweizer Künstlerin mit einer Licht- und Bildprojektion im grossen Becken auf das Korallensterben aufmerksam machen.
Noch fast leer, wirkt das Bad sakral und erhaben. Sphärische Klänge und psychedelische Farben sorgen im abgedunkelten Hallenbad für ein Erlebnis der besonderen Art. Wasser und Raum wechseln laufend die Farben, die sich gegenseitig überblenden. In regelmässigen Abständen glitzert die Oberfläche voller rotvioletter Punkte, als würden farbenfrohe Glühwürmchen hier ein Fest feiern. Eine bessere Sonntagsandacht gibt es nicht. Pipilotti Rist spricht von einer «Augapfelmassage», die hier stattfinde. Die Luftbläschen, die wir beim Schwimmen machten, wolle sie mit den Lichtpunkten sicht- und erlebbar machen.
Die Oberfläche glitzert voller rotvioletter Punkte, als würden farbenfrohe Glühwürmchen hier ein Fest feiern.
Die Beschaulichkeit ist vorbei, als das Hallenbad den bereits ungeduldig wartenden Besuchern die Türe öffnet. Zum «Kunst- und Sensibilisierungsanlass» kommen Erwachsene und Kinder in Scharen. Am Eingang wird bestimmt, ob man fortan eine Koralle oder eine Alge ist. Die Presse kann wählen.
Klar, bin ich eine Koralle! Anhand eines Spiels sollen die Besucher selbst erfahren, dass Alge und Koralle einander brauchen. Ihre lebenswichtige Symbiose löst sich auf, wenn die Temperaturen steigen. Die Koralle verliert nicht nur ihre Farbe, sondern ihr Leben. Mit einem Stift wird die jeweilige Spezies auf dem Oberarm markiert. Im Wasser soll man schliesslich als Koralle eine Alge finden und umgekehrt. Wem das gelingt, der bekommt von Häuptling Pipilotti Rist eine Medaille ausgehändigt. Eine von sechshundert individuellen Stücken, die der Künstler Tomi Scheiderbauer für dieses Projekt aus Strandmüll gestaltet hat.
Doch Algen wie Korallen sind nicht wahnsinnig erpicht, einander zu finden. Dazu ist die Installation einfach zu schön. Taucht man ab, hört man Musik. «Die Farbe hat mich. Ich brauche nicht nach ihr zu haschen», schrieb Paul Klee nach seiner Tunis-Reise in sein Tagebuch. Das kann man hier laut sagen. Ich bin ganz Farbe, ganz Koralle und vergesse dabei, eine Alge – sie sind alle selbst im Farbenrausch – zu suchen.
«Wir sind alle Korallen. Man denke nur mal an unsere Schleimhäute.»
Eine Medaille gibt es jetzt halt nicht, dafür treffe ich nochmals auf Pipilotti Rist. Vor 25 Jahren sei sie zum ersten Mal getaucht. «Das war das Lustigste und Fantasievollste, was ich je erlebt habe.» Die 1962 im Rheintal geborene Künstlerin provozierte in den Neunzigerjahren mit einer scheinbar naiven Kunst, die vor optischer, akustischer und haptischer Sinnlichkeit geradezu sprühte. Spröde Konzeptkünstler schüttelten den Kopf. Warum nur?
«Farbe ist Leben. Genau vor dieser Lebendigkeit haben manche Menschen wohl Angst, da sie sich unserer Kontrolle entzieht.» Und: «Wir sind alle Korallen. Man denke nur mal an unsere Schleimhäute», doziert sie fröhlich weiter. Schliesslich erzählt die Künstlerin, wie sie vor drei Jahren nochmals tauchen gegangen sei. Dabei sei es ihr «körperlich eingefahren», keine Farben mehr zu sehen. Rist, ein WWF-Mitglied seit ihrer Kindheit, kontaktierte die Organisation nach ihrem enttäuschenden Tauchgang wie folgt: «Wenn ich etwas helfen kann, bin ich hier.» Mission erfüllt.
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