
Der Fachkräftemangel ist mit voller Kraft zurück (lesen Sie hier den News-Artikel zum Thema). 114 Firmen-und Finanzchefs halten ihn für die drittgrösste Gefahr für die Volkswirtschaft, wie einer Umfrage des Beratungsunternehmens Deloitte zu entnehmen ist; in der letzten Umfrage vor einem halben Jahr hatten sie ihn kaum auf dem Radar. Mitte Oktober waren zudem 230’000 Stellen ausgeschrieben, das sind deutlich mehr als vor der Krise. Schon damals galt der Fachkräftemangel als grosses Problem.
Die Pandemie zerrt damit wie schon mit der Digitalisierung ein Problem in den Vordergrund, das Wirtschaft und Politik – links und rechts trugen beide ihren Teil dazu bei – zuvor verschlafen haben: Mütter, die gern mehr arbeiten würden, entscheiden sich wegen hoher Kinderbetreuungskosten und unflexibler Arbeitsmodelle dagegen. Dem Arbeitsmarkt fehlen Mint-Abgänger (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik), weil die Fächer im Bildungssystem zu kurz kommen.
Für systemrelevante Berufe im Gesundheitswesen stehen entweder zu wenig finanzielle Mittel (Pflege) oder zu wenig Studienplätze im Inland (Medizin) zur Verfügung. Und das Rentenalter für Männer ist trotz stark gestiegener Lebenserwartung und körperlich weniger anstrengender Tätigkeiten gleich hoch wie zur Einführung der AHV 1948. Bei den Frauen liegt es sogar tiefer als damals.
Brachliegendes Fachkräftereservoir
Vor der Pandemie kleisterte die Schweiz ihren Fachkräftemangel, so gut es ging, mit Einwanderern zu. Das spaltete erstens das Land («Dichtestress»). Zweitens war es unfair gegenüber dem grossen brachliegenden inländischen Fachkräftereservoir: den Frauen. Drittens zeigt die aktuelle Situation, in der sich die Volkswirtschaften rund um die Welt gleichzeitig erholen und Arbeitskräfte überall gefragt sind, dass das Vorgehen nicht krisenfest ist.
Das schmerzt und nagt am Wirtschaftswachstum. Und es führt dazu, dass im Bundeshaus und in den Teppichetagen der Leidensdruck wächst. Das ist auch gut so, denn weiterzumachen wie bisher, darf keine Option sein.
Konrad Staehelin arbeitet seit 2020 als Wirtschaftsredaktor bei Tamedia. Der studierte Politologe schreibt vornehmlich über die Themen Arbeitsmarkt, Luftfahrt und Schienenverkehr.
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Kommentar zum Fachkräftemangel – Probleme jetzt anpacken, sonst bleibt wieder nur die Einwanderung
Das Virus legt die Versäumnisse von Politik und Wirtschaft offen. Es ist zu hoffen, dass die Situation den Leidensdruck so erhöht, dass diese endlich Lösungen finden.