Stell dir vor, es sind Wahlen und keiner geht hin!
peter santschi
Bei den Regierungs- und Grossratswahlen Ende März gab es eine bedenklich tiefe Wahlbeteiligung. Ich überlasse es den Politologen, die Ursachen dafür zu ergründen. Ich verstehe es nicht, denn es ist doch sooo spannend! Wie interessant Wahlen sind, habe ich schon im Alter von 20 Jahren erfahren: Als junger Lehrer in Brienz wurde ich natürlich sofort in den Wahlausschuss zum Auszählen beordert. «Als Lehrer kannst du gut unleserliche Schriften entziffern», hiess es, und man setzte mich mit einem Kollegen hinter den Stapel mit den unbeliebten panaschierten Wahlzetteln. Das sind die, wo die Namen zweimal (also kumuliert) vorgedruckt sind, dann aber einzelne gestrichen und handschriftlich durch andere Namen ersetzt wurden. Kurz nach Arbeitsbeginn wurde es schon interessant: Ein Name war zweimal durchgestrichen. Nicht fein mit Lineal, sondern dick und nachhaltig und mit heftigem Druck auf dem Stift. Leider stand mit krakeliger Schrift noch am Zettelrand: «Diesem Aff nicht!» Das Ausrufezeichen bezeugte in seiner Dicke ebenfalls die Abneigung des Wählers gegen diesen Kandidaten. Das war nun ein Fall für den Gemeindeschreiber. «Der Wille des Wählers muss zweifelsfrei erkennbar sein», erklärte er uns. Das war überdeutlich der Fall «Und der Zettel darf keine ehrverletzenden Bemerkungen enthalten», fuhr er fort. Also klar ungültig! So sympathisch Affen sonst sein mögen – auf dem Wahlzettel sind sie ehrverletzend. Kurz darauf das nächste Problem: Auf zwei leeren Zeilen war ein einfaches Haus gezeichnet. Daran mit Bindestrich angehängt: «-eller, 2×». Für Brienzer ist der Wille des Wählers klar erkennbar: Weil es bei uns viele Flück, Schild und Michel gibt, werden die Sippen durch Übernamen kenntlich gemacht. Der Wähler wollte also zweifelsfrei zweimal den Kandidaten «Michel» – eben: den «Houseller» – wählen. Erste Bedingung betreffend Wählerwillen erfüllt! Gilt das aber jetzt als ehrverletzend? Mitnichten! Übernamen der Brienzer Burgergeschlechter (etwa «ds Matrosen» oder «Orgeller» oder eben «Houseller») werden so stolz getragen wie andernorts Adelstitel! Also musste wieder der Gemeindeschreiber her. Er begriff zwar meine Logik, erklärte den Zettel aber doch für ungültig. Kumulieren mit Gänsefüsschen oder dem Ausdruck «zweimal» ist nicht gestattet. Dazu müsse der Wählerwille auch ausserhalb der Gemeindegrenzen erkennbar sein, fügte er hinzu. Da soll noch einer sagen, Wahlen seien langweilig! Am Wahlabend sitzt man mit seinen Parteifreunden in einem Restaurant, wartet gespannt auf Resultate, hängt am Handy oder schaut TV und liest Teletext. Laute Diskussionen sind im Gang. Es wird behauptet und vermutet, bis dann endlich Resultate kommen. Als Kandidat verzappelt man fast (spielt aber natürlich mehr oder weniger gekonnt den «Cool Män»), und auch als Mitkämpfer für Freunde leidet man mit oder bricht in Applaus und Freudenrufe aus, wenns wieder jemand geschafft hat. Lebendige Demokratie, die erst durch gemeinsames Tun zum verbindenden Erlebnis wird! Dagegen muss sich der anonyme Wahlzettelschreiberling wohl allein zu Hause ärgern, wenn er vernimmt, dass der «Aff», den er nicht wollte, jetzt trotzdem gewählt wurde Bald kommen aus den Nachbarwirtschaften Vertretungen anderer Parteien vorbei. Man gratuliert sich, geniesst (wenn es dazu Anlass gibt) auch heimliche Schadenfreude (schliesslich ist man ja fair, aber eben doch Rivale) und stösst nochmals die klingenden Gläser zusammen. Ob des Radaus machen sich mehrere junge Gäste davon. Sie können nicht verstehen, wie diese «Politfreaks» wegen etwas so Unwichtigem am Handy hängen, schreien und sich zuprosten. Sollen die das doch morgen in der Zeitung lesen, das wäre noch früh genug! Die «Politabstinenzler» loggen sich dann dafür sofort ins Internet ein und suchen die für sie spannenden News: Ob YB den Baslern oder die Basler den YBlern einen «Chübu» mehr ins Netz gesetzt haben – das muss man noch heute wissen! Aha, Sie meinen, die Wahlen seien jetzt ja vorbei und Fussball werde aktuell? Weit gefehlt, denn: «Nach den Wahlen ist vor den Wahlen!», heisst der politische Leitsatz. Wahlen sind spannend und für alle wichtig. Darum: Schon bald sind wieder Wahlen. Liebe Leserin, lieber Leser: Gehen Sie hin! E-Mail: santschi.peter@bluewin.ch redaktion-bo@bom.ch>
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