Dem Reh gehts besser als dem Hasen
Nächtliche Wildzählung mit Wildhüter Peter Schwendimann.

Ein Auto fährt zu nächtlicher Stunde über Land. Langsam – mit 10 bis 20 Stundenkilometern – kurvt es meist abseits der Hauptstrasse durch Flur- und Feldwege. Das Fahrzeug fährt mit Scheinwerferlicht. Und links und rechts leuchten aus den Autofenstern ebenfalls Scheinwerfer die Landschaft aus: für den zufälligen Betrachter ein schier unheimliches Bild. Am Steuer des auffälligen Autos sitzt Wildhüter Peter Schwendimann. «Falls jemand der Polizei telefonieren sollte, habe ich diese vorgängig ins Bild gesetzt, dass wir wegen der Wildzählung unterwegs sind», sagt der Niederstockner.
Mit den Scheinwerfern hantieren auf dem Hintersitz zwei Jäger: Marc Kunz aus Därstetten und Fred Bohren aus Uetendorf. Im Scheinwerferlicht reflektieren zwei gelbe Augen. Auf den entsprechenden Hinweis von Bohren blickt Schwendimann durch den Feldstecher und rapportiert: «Ein stattlicher Fuchs.» Als Sekretär sitzt in dieser Nacht der Berichterstatter dieser Zeitung auf dem Beifahrersitz. Auf dem Zählblatt mache ich unter der Rubrik Fuchs mein erstes Strichli.
Wir sind im Gebiet Nieder- und Oberstocken, Pohlern, Höfen und Amsoldingen unterwegs. Die Nacht ist klar, das Wetter trocken. Um Mitternacht zeigt das Thermometer immer noch sechs Grad an. Trotzdem sind wir alle vier warm angezogen und tragen Mützen auf dem Kopf, denn die Fenster des Autos sind permanent offen. Am Waldrand blinken Augen – es sind die dreier Rehe: Ein Bock und zwei Geissen. Sie äsen nicht auf dem offenen Feld, denn grosse Flächen sind derzeit mit Mist oder Gülle gewürzt. «Ihr Salatbuffet ist buchstäblich verschissen», bemerkt einer der Jäger.
Wieder erkennen wir im Scheinwerferlicht einen prächtigen Fuchs – nein, es sind sogar zwei. Und unterhalb der Hauptstrasse flüchtet ein Dachs. In der Nähe eines Bauernhofs leuchten uns zwei grosse gelbe Augen entgegen. Beim Näherkommen erkennen wir, dass es die Pupillen eines stattlichen Hauskaters sind. Kurze Zeit später vermeldet Marc Kunz: «Hoppla, ein Meister Hoppel!» Und tatsächlich, ein Hase versucht mit seiner typischen Zick-Zack-Flucht dem Licht zu entkommen. Auf einem Hügel sind mittlerweile schön die Silhouetten dreier Rehe zu erkennen, im Scheinwerferlicht leuchten uns ihre weissen Hinterteile – auch Spiegel genannt – entgegen.
In einer Senke machen wir ein richtiges Lichtermeer aus: Es sind zehn Rehe. Peter Schwendimann fährt plötzlich Slalom. «Die Frösche und Kröten spüren den Frühling und queren die Strasse», erklärt er. Wir sind im Moorschutzgebiet des Waffenplatzes Thun. Hier fühlen sich die Wildtiere offensichtlich wohl, denn weitere zehn Rehe kreuzen unter der Sichel des Mondes unseren Weg. Dieser führt uns zurück ins Gebiet von Stocken. «Die Beschaffenheit der Landschaft hat auf den Bestand der Tiere einen entscheidenden Einfluss», hält Schwendimann fest. «Diese Art der Heckenpflege bewirkt das Gegenteil», betont er, und weist auf eine bis auf die Strünke gestutzte Baum- und Sträucherreihe hin. «Gerade die Population des Hasen sinkt in tragischem Mass, weil sich das Umfeld weiter zu seinen Ungunsten entwickelt.»
Doch die Ausbeute auf unserer Statistik beweist: Zumindest um den Rehbestand ist es gut bestellt. 101 Rehe haben wir in der Zeit von 21.30 Uhr bis 02.30 gesehen, 33 Füchse, 13 Hasen und 3 Dachse. Mit Blick auf den Kalender und das bevorstehende Osterfest müssen wir aber feststellen: Der Hasenbestand ist mehr als mangelhaft – 12 bis 16 Tiere pro Quadratkilometer sollten es sein. Die Zählung erfolgt in der Dunkelheit, weil einige Tiere nur dann unterwegs sind. «Auch die Rehe sind, wegen zunehmenden Störfaktoren, vermehrt nachtaktiv», sagr Schwendimann. Ein zweites Zählerteam ist parallel im Gebiet Reutigen/Zwieselberg unterwegs. Seine Ausbeute: 36 Rehe, 14 Füchse, 13 Hasen und ein Dachs. Aber im Unterschied zum Stocken-Team registrieren diese vier zusätzlich einen Luchs und zwei Marder.
Seit 1983 macht Wildhüter Schwendimann diese Bestandeserhebung. «Sie zeigt lediglich eine Tendenz, da wir nie alle Tiere zu Gesicht bekommen», sagt er. «Aber da die selbe Route jährlich im Frühling zweimal abgefahren wird, ist das Resultat aussagekräftig.» Gestützt wird die Erhebung durch Sichtzählungen der Jäger im ganzen Zuständigkeitsgebiet von Peter Schwendimann (Pohlern bis Därstetten). «Im Herbst 2009 wurden dort 835 Gämsen registriert. Die Wildbestände sind in unserer Region stabil bis steigend.» Mit dieser Feststellung lenkt der Wildhüter den Wagen weiter im Schritttempo durch die Nacht.
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