«Respekt zeigen»
Der HC Davos steht vor der wichtigsten Serie seit dem Aufstieg 1993: dem Playout gegen Rapperswil-Jona.

Warum so kompliziert, wenn es doch so einfach ist? Der tschechische Kellner im Restaurant neben der Davoser Vaillant Arena weiss, warum der HCD den Ligaerhalt bereits im Playout gegen Rapperswil-Jona schaffen wird: «Wir sind Rekordmeister, die innere Uhr unserer Spieler wird sie automatisch auf Playoff-Modus stellen. Darum ist das alles bereits entschieden!» Sagts, lacht laut und fragt nach seinem Landsmann Tomas Kundratek, dem Verteidiger, der seit einem Monat verletzt ausfällt.
Tja. Wenn es doch bloss so einfach wäre.
Kehraus beim letzten Heimspiel der Ranking Round
Es ist Donnerstagabend, 20 Uhr, in der Vaillant Arena haben sich rund 1500 Leute eingefunden, knapp 20 aus Freiburg, HCD - Gottéron steht auf dem Programm, zweitletzte Runde der Ranking Round, in der es um nichts mehr geht. Der Playout-Final stand schon vor dem ersten Durchgang fest.
Es herrscht Kehraus-Atmosphäre, das Spiel ist schlecht, keiner will sich verletzen. Kundratek gibt sein Comeback, er markiert mit einem krachenden Check schon früh Präsenz, es wird eines der ganz seltenen Davoser Highlights des Abends bleiben.
Stimmung kommt keine auf, erst recht nicht, weil die Ostkurve, wo sonst die hartgesottenen Davoser Fans stehen, fast leer ist. Stattdessen ist ein grosses Transparent ausgerollt, darauf zu lesen ein Protest gegen diverse mehrjährige Stadion- und Rayonverbote, die letzte Woche gegen einen erheblichen Teil der aktiven Fanszene ausgesprochen wurden. Wie die Unterstützung in den Heimspielen in der wohl wichtigsten Serie seit dem Aufstieg 1993 genau aussehen wird, ist noch offen.
Auch das noch. Doch das ist nur eine von vielen Baustellen in Davos.
Eine andere, offensichtliche, ist das Stadion. Sobald die Saison vorbei ist, beginnt die nächste Phase des Umbaus, der HCD wird darum die Spielzeit 2019/20 mit acht Auswärtsspielen beginnen, das steht bereits fest. All das wird unabhängig von der Ligazugehörigkeit des Rekordmeisters geschehen.
So erklären die HCD-Fans ihre Protestaktion vom Donnerstag.
«Das ist menschlich»
Abstieg. Ein hässliches Wort, das aber nicht jeder in Davos vermeidet. Es ist 22.30 Uhr, das Spiel vorbei, die Halle leer, als René Müller im Büro neben der Garderobe des HC Davos die Hände zusammenschlägt und sagt: «Natürlich machst du dir auch Gedanken über einen möglichen Abstieg. Das ist menschlich, das hat nichts mit Angst zu tun.»
Müller, der 2002 als Spieler nach ersten Meistertitel des HC Davos in der Playoff-Ära zurücktrat und seither in diversen Funktionen im Club tätig ist, vor allem im Nachwuchsbereich, ist derzeit auch Sportchef ad interim – er hat darum sowieso verschiedene Szenarien im Kopf.

Das gilt auch für Marc Gianola, dem CEO, der auch dem Spengler Cup vorsteht. Auch wegen der Organisation des Traditionsturniers würde der HCD bei einem Abstieg in der Administration nicht verkleinert, sagt Gianola. 16 Vollzeitstellen für einen Gesamtumsatz von 26 Millionen Franken, das sei nicht übertrieben.
Und auch das Minus in der aktuellen Saison wird trotz Verpassen des Playoffs überschaubar sein, auch weil die Spieler im HCD-Lohnsystem beim für sie schlechtesten Fall nicht nur auf Prämien verzichten müssen, sondern nur auf 90 Prozent der Gesamtlohnsumme kommen.
Aber der HCD in der zweithöchsten Klasse? Der Gedanke bringt auch Gianola ins Grübeln: «Das funktioniert kaum. Da müssten wir sofort wieder nach oben kommen.»
Bleibt Van Pottelberghe vielleicht doch?
Die Mannschaft für die Saison 2019/20 hat Sportchef Müller mehr oder weniger zusammen – vorausgesetzt, sie spielt immer noch in der höchsten Spielklasse … Es fehlen nur noch ein zweiter Schweizer Goalie und vor allem zwei Ausländer.
Dieser zweite Goalie, es könnte mittlerweile wider Erwarten nun doch Joren van Pottelberghe werden, sein Abgang nach Nordamerika bereits nächste Saison ist nicht mehr so sicher wie noch vor ein paar Monaten.
Die zwei Ausländer neben Center Perttu Lindgren und Verteidiger Magnus Nygren, die will Müller erst verpflichten, wenn feststeht, wer nächste Saison Trainer ist: «Er soll da mitreden und sagen, ob er lieber zwei Verteidiger oder drei Stürmer will.»
Wer dieser Headcoach sein wird, ist noch offen – zumindest offiziell. Die NZZ schrieb kürzlich, dass in der Branche sich hartnäckig das Gerücht halte, Christian Wohlwend werde im HCD als Cheftrainer vorgestellt, sobald der Rekordmeister den Klassenerhalt geschafft habe und dass als Assistent Tommy Albelin käme. Doch da widerspricht Müller vehement. Die Gespräche mit Kandidaten seien am Laufen, mehr will er nicht sagen.
Doch Wohlwend ist definitiv ein heisser Kandidat, und im Dunstkreis des Clubs hört man, dass auch Harijs Witolinsch ein Thema bleibt. Der Lette folgte nach Arno Del Curtos Rücktritt und hat das zuvor wilde Davoser Spiel stabilisiert und in der Defensive strukturiert – auch wenn die Siege grösstenteils genauso ausblieben wie unter seinem Vorgänger.
Es kursieren noch andere Namen möglicher Assistenten, die eher infrage kämen als Albelin, der seinen Lebensmittelpunkt in den USA hat. Zum Beispiel Niklas Gällstedt, zuletzt Hans Kossmanns Gehilfe in Wolfsburg, vorher in Kloten tätig. Oder der seit acht Jahren in Skelleftea arbeitende Bert Robertsson. Als Headcoach wird Davos zudem auch der in Lugano nicht mehr erwünschte Greg Ireland angeboten. Müller will, wen wunderts, auch diese Namen nicht kommentieren.
Warum soll Davos besser sein nächste Saison?
Doch bei aller sich abzeichnender Kontinuität im Davoser Kader bleibt die Frage: Warum soll der HCD nächste Saison besser sein? Samuel Guerra (Ambri/Verteidiger) und Fabrice Herzog (ZSC/Stürmer) sind solide Zuzüge, garantieren alleine indes keine Steigerung. «Wenn wir unser Potenzial im Gegensatz zu dieser Saison ausschöpfen und die Defizite im physischen Bereich beheben, ist mehr möglich», sagt Gianola.

Gerade Letzteres lässt aufhorchen und zeigt immer mehr auf, dass das Sommertraining, wofür der Rekordmeister früher noch berüchtigt war, in den letzten ein, zwei Jahren aber zum grossen Problemfeld wurde. Die vielen Total-Einbrüche mit Kanterniederlagen diese Saison, die fehlende Fähigkeit, späte Rückstände zu drehen, früher ebenfalls ein Davoser Markenzeichen – all das spricht Bände.
Die eine Botschaft des Sportchefs
Trotz allem: Auf dem Papier ist Davos Favorit gegen die Lakers. Die Sprüche, wie klar die Davoser eigentlich überlegen sein müssten, die hat auch Müller gehört, er kommentiert sie mit einem Kopfschütteln. «Ja, wahrscheinlich haben wir das breitere Kader. Aber in so einer Serie spielen so viele andere Faktoren auch eine Rolle: Verletzungen, Sperren, unverdiente Siege oder Niederlagen und und und. Die entscheidende Frage ist immer: Wer reagiert besser auf eine neue, vielleicht unerwartete Situation?»
Er habe nur eine Botschaft ans Team, sagt Müller: «Respekt zeigen. Das ist etwas Positives. Wenn du Respekt hast, machst du auch die kleinen, wichtigen Dinge richtig.»
Verteidiger Claude Paschoud, gebürtiger Davoser, sagt es so: «Wie wenig die Stärke auf dem Papier bedeutet, kennen wir aus der anderen Optik: Als wir 2015 Meister wurden, Bern und den ZSC schlugen. Oder danach in der Champions League Skelleftea.» Paschouds Jahrgang ist 1994, er kennt also nur Playoff, ob als junger Fan in der Kurve oder als Stammspieler.
Die Vision des HC Davos
Das gilt auch für Donatoren. Oder wie es Gianola formuliert: «Viele kannten bis November den HCD nur mit Arno.» Der Abgang Del Curtos, der den HCD im sportlichen Bereich als eine Art 1-Mann-Betrieb führte, hat den Club durchgeschüttelt. «Wir sind seit Dezember dran, eine neue Organisation aufzubauen», sagt Gianola.
Im HCD herrscht die Vision, schon bald wieder ein für junge Spieler attraktiver Club zu werden. Gianola: «Wir bieten beste Voraussetzung für Spieler, die sich weiterentwickeln wollen, die aber auch alles dafür tun. Es geht nicht um Gratisplätze für Junge.»
Der HCD als Club mit mittelmässigem Budget, der dennoch hin und wieder einen Halbfinal oder gar mehr erreichen kann. «Und wir müssen auch akzeptieren, dass die jungen Spieler uns nach drei, vier Jahren wohl wieder verlassen», sagt Gianola – und fügt an: «Am besten Richtung Nordamerika.»
Nicht allen passt die Akte Raffainer
Als Sportchef wird Raeto Raffainer übernehmen, Gianola und Müller bezeichnen ihn als Ideallösung. Dass der Engadiner noch bis Ende Saison seinen Job im Verband als Nationalmannschaftsdirektor behält, wird in diversen Büros von anderen National-League-Teams bereits argwöhnisch beäugt, ein sofortiger Abgang Richtung Davos als vielleicht bessere Lösung betrachtet.
Da könnte man lakonisch fragen, ob vielleicht befürchtet wird, dass Raffainer ansonsten das komplette U20-Nationalteam ins Landwassertal mitnimmt …
Müller verwirft die Hände, wenn er so was hört. Er sagt: «Es ist doch das Beste und im Sinne der Nationalmannschaft, wenn Raeto an der WM noch dabei ist.»
«Einer, der in Schüsse springt, Zähne verliert …»
Doch zurück zur Gegenwart. Am Dienstag, wenn die Serie gegen die Lakers beginnt, dürfte sich die lange Verletztenliste der Davoser etwas lichten. Der zuletzt kranke Topskorer Lindgren wird spielen, Paschoud ist seit Dienstag zurück nach vier Monaten Pause wegen einer Gehirnerschütterung.
Sogar über das diese Saison nicht mehr für möglich gehaltene Comeback von Dino Wieser, der aus demselben Grund fehlt, wird gemunkelt. Auch wenn er seinen «Scoring Touch» in den letzten zwei Saisons fast völlig verlor, wäre der Stürmer als Figur wichtig im Abstiegskampf. Oder wie es Gianola sagt: «Ein Typ wie er kann nun nicht schaden. Einer, der in Schüsse springt, Zähne verliert …»
«Einen Plan B? Den kann es gar nicht geben …»
Und wenn doch alles schief geht, selbst eine allfällige Ligaqualifikation gegen den B-Meister? Es gebe keinen Plan B, sagt Müller. Weil es den gar nicht geben könne: «Du kannst nicht jetzt vor der Serie mit Spielern oder Sponsoren über Swiss-League-Verträge und -Budgets sprechen.» Müller sagt das mit ruhiger Stimme. Auch Gianola vermeidet jegliche Hektik, wenn er sagt: «Solange nicht das Schlimmste eintritt, tut uns dieses Tief für die Zukunft sogar gut.»
Ist es nur die Ruhe vor dem Sturm? Die erste Antwort gibts am Dienstag in Davos, im ersten von maximal sieben Spielen.
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