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Asylrichter erschweren rasche Abschiebungen
Die Schweiz darf illegale Asylsuchende nicht einfach ins zuständige Einreiseland abschieben. Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts hebelt die Grundregel des Dubliner Asylabkommens faktisch aus.
Beschwerden von Asylbewerbern haben bei linken Einzelrichtern grössere Chancen als bei rechten. Laut Staatsrechtsprofessor Markus Schefer ist mehr Gerechtigkeit nur mit einem mehrköpfigen Richtergremium möglich.
Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen: Asylbewerber werden hier nicht alle gleich behandelt. Wer bei einem Richter einer rechten Partei landet, hat weniger Chancen auf einen positiven Bescheid.
(Bild: Keystone)
Herr Schefer, SVP-Richter am Bundesverwaltungsgericht lehnen Beschwerden von Asylbewerbern häufiger ab als Richter der SP. Ist das nicht ungerecht?Markus Schefer: Um das beurteilen zu können, müsste man wissen, ob die in der Erhebung berücksichtigten Fälle tatsächlich vergleichbar sind. Also ob die Richter der unterschiedlichen Parteien aus irgendeinem Grund vielleicht tendenziell andere Fälle zu beurteilen hatten.
Das Bundesverwaltungsgericht teilt die Fälle den Richtern per Zufallsgenerator zu. Und die Fallzahlen sind hoch. Dennoch müsste man zur abschliessenden Beurteilung die Situation näher prüfen.
Wenn es sich nun aber erhärtet, dass Richter linker Parteien im Asylbereich bei identischen Fällen anders urteilen als rechte Richter: Kann man dann noch von gerechten Urteilen reden? Wenn es sich herausstellt, dass es bei wirklich vergleichbaren Fällen im Asylbereich eine so sehr grosse Diskrepanz zwischen Urteilen von linken und rechten Richtern gibt, müsste etwas geändert werden.
Warum? Die Garantie, dass jeder Rechtssuchende gerecht und gleich wie jeder andere behandelt wird, wäre infrage gestellt.
Wie kann man denn verhindern, dass sich die Parteizugehörigkeit des Richters allzu stark auf das Urteil niederschlägt? Eine Möglichkeit besteht darin, dass man bei solchen Fällen statt eines Einzelrichters ein dreiköpfiges Gericht entscheiden lässt. Das ist allerdings weniger effizient.
Zur Person: Markus Schefer (51) ist Professor für öffentliches Recht und vergleichendes Verfassungsrecht an der Universität Basel. Bild: Keystone
Es würde das Beschwerdesystem im Asylbereich, wo monatlich sehr viele Entscheide gefällt werden, stark verteuern. Das ist wohl so. Es könnte dazu führen, dass in Fällen, wo ein Einzelrichter eigentlich ausreichen würde,trotzdem in Dreierbesetzung entschieden wird, um allzu parteipolitisch gefärbte Urteile flächendeckend ausschliessen zu können. Gerechtigkeit hat ihren Preis. Die Frage ist, ob man sich diese Gerechtigkeit politisch leisten will.
Urteile des Bundesverwaltungsgerichts im Asylbereich sind in der Regel letztinstanzlich. Wie weit spielt dies eine Rolle? Meiner Meinung nach sollten letztinstanzliche Urteile generell nicht von einem Einzelrichter gefällt werden. Man muss sich immer bewusst sein, dass letztinstanzliche Urteile grundsätzlich nicht mehr korrigiert werden können. Dabei geht es gerade im Asylbereich oft um existenzielle Fragen. Leider wurden übrigens selbst beim Bundesgericht vor bald zehn Jahren für gewisse Fälle einzelrichterliche Urteile eingeführt.
Beim Bundesverwaltungsgericht entscheidet ein Zufallsgenerator, ob man einem SP- oder einem SVP-Richter zugeteilt wird. Ob einer Asyl erhält, hängt also salopp gesagt davon ab, bei welcher Parteifarbe das Glücksrad stehen bleibt. Ist ein so hoher Glücksfaktor am Gericht vertretbar? Die Frage ist, ob die Alternativen besser sind.
Gibt es keine besseren? Grundsätzlich gibt es drei Möglichkeiten, Gerichtsfälle den einzelnen Richtern zuzuordnen: Die erste ist der Zufallsgenerator. Die zweite Möglichkeit besteht darin, dass die Abteilungspräsidenten an den Gerichten die Fälle verteilen. So handhabt es das Bundesgericht. Die dritte Möglichkeit ist die in Deutschland gebräuchliche. Dort wird durch abstrakte Regeln, also Gesetze oder Verordnungen, vorbestimmt, welcher Richter welchen Fall bekommt.
«Letztinstanzliche Urteile sollten generell nicht von einem Einzelrichter gefällt werden.»
Die beste Möglichkeit? Ich finde die Lösung des Bundesverwaltungsgerichts mit dem Zufallsgenerator insgesamt nicht schlecht. Bei der Zuteilung der Fälle durch den Abteilungspräsidenten besteht das Problem, dass dieser die Weltanschauung der einzelnen Richter mit berücksichtigt, ein einzelner wichtige Entscheide fällt. Und die deutsche Methode ist ineffizient. Sie führt dazu, dass Richter unter Umständen schlecht ausgelastet sind oder nicht ihren spezifischen Fähigkeiten entsprechend eingesetzt werden.
Die Hauptaufgabe des Richters ist, neutral zu sein. Umgekehrt kann heute fast nur Richter werden, wer einer politischen Partei angehört. Das ist doch eigentlich ein Widerspruch. Die Parteizugehörigkeit der Richter hat Vor- und Nachteile, aber im Widerspruch zur Unparteilichkeit steht sie nicht. Denn auch parteilose Richter haben eine Weltanschauung. Der Vorteil bei Richtern mit Parteibüchlein ist, dass bei ihnen die Weltanschauung bis zu einem gewissen Grad offengelegt ist. Trotzdem ist es schlecht, dass heute ohne Parteimitgliedschaft kaum jemand noch Richter werden kann. Richterstellen sollten für alle offen sein, für Parteimitglieder wie für Parteilose.
Warum genau gibt es heute diese De-facto-Pflicht, einer Partei zuzugehören? Weil das Parlament die Richter wählt und das Parlament nach Parteizugehörigkeit funktioniert.
Wie könnte man das ändern? Parteien könnten sich beispielsweise darauf einigen, dass jede von ihnen auch parteilose Richter nominiert.
Bürgerliche Richter weisen Beschwerden von Asylsuchenden bis zu dreimal häufiger ab als ihre linken Kollegen. Das zeigt eine umfassende Auswertung des «Tages-Anzeigers». Untersucht wurden dafür erstmals sämtliche 29?263 Asylurteile, welche das Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen seit dessen Bestehen 2007 gefällt hat.
Nach der TA-Recherche heisst etwa SVP-Richter Fulvio Haefeli nicht einmal zehn Prozent der Beschwerden gut. Bei der grünen Richterin Contessina Theis dagegen hat jede dritte Beschwerde Erfolg. Die Auswertung zeigt aber gleichzeitig: Sämtliche 44 Richter sind streng. Rund 84 Prozent aller Beschwerden werden abgelehnt.
Das Bundesverwaltungsgericht wollte die Ergebnisse der Analyse nicht kommentieren. Aber es distanzierte sich vom Rückschluss, die unterschiedlichen Quoten seien auf das Parteibuch der Richterinnen oder der Richter zurückzuführen.
Fakt jedoch ist, dass das Bundesverwaltungsgericht Mitte September erstmals überhaupt einen Asylrichter verpflichtet hat, wegen Befangenheit in den Ausstand zu treten. Es ist SVP-Richter Haefeli. Gemäss «Tages-Anzeiger», dem das Urteil vorliegt, kommt das Gericht zum Schluss, dass Haefeli «befangen und voreingenommen» sei. Beim betreffenden Fall ging es um die Beschwerde eines Kosovaren. Die Asylbeschwerde wird nun von einem – parteilosen – Kollegen bearbeitet.
Gelangt ein Flüchtling ans Bundesverwaltungsgericht, weil sein Asylgesuch abgelehnt wurde, hängt das Urteil also nicht nur von seiner konkreten Geschichte ab, sondern auch davon, welcher Partei die gerade zuständigen Richterinnen und Richter angehören. Während in manchen Ländern den Richtern eine Parteizugehörigkeit verboten ist, können Anwärter in der Schweiz ihre Aussichten auf ein Amt deutlich erhöhen, wenn sie einer Partei angehören. Die Vereinigte Bundesversammlung vergibt die Ämter meist so, dass die Bundesgerichte parteipolitisch ähnlich zusammengesetzt sind wie das Parlament selber. Ausserdem sind Richterposten für manche Parteien wichtige Einnahmequellen, weil ihnen ihre Mandatsträger Parteisteuern entrichten müssen. (asr)
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