Der Ausschaffungsartikel setzt die Ausschaffungsinitiative der SVP um und sieht vor, dass Ausländer, die eine der in einem Katalog aufgeführten Straftaten wie Mord, Raub, Betrug und viele weitere verübt haben, des Landes verwiesen werden. Damit nicht hier verwurzelte Personen geringfügiger Delikte wegen ausgeschafft werden müssen, schuf das Parlament eine Härtefallklausel: Das Gericht darf ausnahmsweise bei schweren persönlichen Härtefällen von einem Landesverweis absehen.
Wie sich bei der Anwendung des Ausschaffungsartikels gezeigt hat, steht die Bestimmung in einem gewissen Widerspruch zur Strafprozessordnung. So sieht Letztere vor, dass leichtere Straffälle durch die Staatsanwälte per Strafbefehl erledigt werden können. Darunter fällt eigentlich auch ein Teil der Delikte, die neu einen obligatorischen Landesverweis nach sich ziehen. Doch gemäss dem Ausschaffungsartikel können nur Gerichte über Landesverweise entscheiden – was mehr Aufwand für Staatsanwälte und Gerichte bedeutet.
Müller: «Klaren Widerspruch zum Gesetzgeber»
Um nicht in allen Fällen Anklage erheben zu müssen, beschloss die Schweizerische Staatsanwältekonferenz Ende 2016 in der Form einer Empfehlung, dass unter gewissen Umständen auch die Staatsanwälte die Härteklausel anwenden dürften. Dies bei geringfügigen Delikten durch nicht vorbestrafte Ausländer mit langfristiger Aufenthaltsbewilligung.
Für Müller, der im Ständerat eine «pfefferscharfe» Umsetzung der Ausschaffungsinitiative angekündigt hatte, setzten sich die Staatsanwälte damit in einen «klaren Widerspruch zum Gesetzgeber». Per Interpellation brachte er das Thema bereits im März zur Sprache im Parlament. Justizministerin Simonetta Sommaruga (SP) verwies darauf, dass noch ungenügende Daten vorliegen würden, eine Gesetzesrevision aber denkbar wäre, sollte die Härtefallklausel «aus Effizienzgründen» oft in Strafbefehlsverfahren angewendet werden.
Ausschaffung bei 54 Prozent der Fälle durchgeführt
Wie Sommaruga damals sagte, erhoffte sie sich Aufschluss von einer Auswertung des Bundesamts für Statistik, die gestern nun veröffentlicht wurde. Aus dieser geht hervor, dass im letzten Jahr 1210 Fälle entschieden wurden, die unter den neuen Ausschaffungsartikel fielen. Nur bei 651 davon kam es aber zu einem Landesverweis, was 54 Prozent aller Fälle entspricht.