Sein längster Tag beginnt um 5 Uhr
Wenn etwa um 8 Uhr die ersten Besucher über den Wattenwilmärit schlendern, stehen fast alle der rund 170 Stände bereit. Bis es aber so weit ist, braucht es einiges an Organisation. Wir haben Marktchef Paul Kiener begleitet, für den der erste Mittwoch im Oktober jeweils der längste Tag des Jahres ist.
Der Morgen liegt noch tief in den Federn an diesem Mittwoch um 5 Uhr. Ganz anders Paul Kiener, Marktchef in Wattenwil. Er ist zwar topfit, doch gut geschlafen hat er nicht, schliesslich ist er heute Herr über rund 170 Marktstände. Zudem hörte sein Telefon am Vorabend nicht zu klingeln auf; denn es gibt immer wieder Händler, denen es erst zum spätestmöglichen Zeitpunkt in den Sinn kommt, dass sie mit ihrem Stand nach Wattenwil gehen möchten. «Eine gewisse Anspannung verspüre ich jedes Mal, obwohl dies mein 19. oder 20.Markt ist», sagt er. Schliesslich soll alles klappen an diesem Tag, der in der Wattenwiler Jahresagenda der wichtigste ist. Paul Kiener ist nicht der Einzige, der um 5 Uhr bereits auf den Beinen ist. Die extremen Frühaufsteher unter den Marktfahrern sind auch schon da und stellen ihre Stände im Licht ihrer Autoscheinwerfer oder mit Stirnlampen ausgerüstet auf. «Um 8 Uhr sollten alle Stände aufgestellt sein», sagt Paul Kiener. «Denn um diese Zeit treffen bereits die ersten Besucher ein.» Noch ist es aber nicht so weit. Die Sterne funkeln noch am tiefschwarzen Nachthimmel und künden einen Tag an, wie er für einen Märit nicht besser sein könnte. «Das haben wir so bestellt», scherzt Kiener. Er muss einen besonders guten Draht zu Petrus haben: «Wir hatten auch schon Regen und so tiefe Temperaturen, dass wir alle kalte Hände hatten. Aber das waren Ausnahmen: Am Wattenwilmärit ist es eigentlich immer schön!» 230 Marktfahrer haben sich bei Paul Kiener um einen Platz beworben, 170 erhielten in der ersten Runde den Zuschlag. «An unserem Märit soll es möglichst viele verschiedene Waren haben», umschreibt er sein Hauptkriterium, nach welchem er die Standplätze vergibt. Inzwischen hat die Turmuhr sechsmal geschlagen. Immer mehr Lieferwagen und starke Autos mit Anhängern stehen auf der Strasse zwischen dem Bären-Kreisel und der Kirche. Die Märitleute richten sich ein und beginnen, ihre Waren auszupacken und möglichst ansprechend zu präsentieren. Immer wieder kommt ein Märitneuling zu Paul Kiener und fragt, wo sein Platz sei. Dieser hat zwar einen Plan in der schwarzen Schultertasche; doch den holt er so gut wie nie hervor. «90 Prozent davon habe ich ihm Kopf», sagt er. Auch die Namen fast aller Händler kennt er. Zum Beispiel den von Otto Rindisbacher aus Lobsigen, der mit seinen Confisseriewaren gekommen ist. «Er ist ein sehr guter Marktchef, der sich viel Mühe gibt, uns gute Bedingungen zu verschaffen. Das kommt letztlich auch unseren Kunden zugute», sagt Rindisbacher, der auch Präsident der Sektion Bern des Schweizer Marktverbandes ist. Marktfahrer sind hoffnungslose Optimisten. Ab 6 Uhr wird Paul Kiener im 10-Minuten-Takt angefragt, ob es nicht noch einen freien Platz gebe. Die Fragesteller haben entweder in der ersten Runde eine Absage erhalten oder es schlicht und einfach vergessen, sich frühzeitig zu bewerben. Etwa die Dame aus der Westschweiz, die dem Marktchef Fotos unter die Nase hält und mit charmantem französischen Akzent betont, wie aussergewöhnliche ihre Blumenarrangements seien. Oder der Mann, der alte Bonbonsorten verkauft, sowie sein Berufskollege mit den Döner-Kebabs, der mitten in der Nacht im St.-Gallischen in seinen Wagen gestiegen und auf gut Glück losgefahren ist. Kieners Antwort ist immer dieselbe: «Wir treffen uns um 8 Uhr beim Kreisel, dann sehen wir weiter.» Es gebe jedes Jahr den einen oder anderen, der sich zwar angemeldet habe, dann aber doch nicht erscheine, erklärt Kiener dem Journalisten. Um 8 Uhr umringen die Hoffnungsvollen den Marktchef und preisen ihre Waren in den höchsten Tönen an. Kiener tut, was er kann, und findet für jeden ein Plätzchen. Um 8.30 Uhr ist alles geregelt – doch für den Herrn der Märitstände ist der Tag noch lange nicht zu Ende. Er wird weiter patrouillieren und achtgeben, dass Ordnung herrscht und sich keine weiteren Händler einschleichen. Und wenn die letzten ihre Zelte abgebrochen haben, ist für ihn noch lange nicht Schluss. Denn nach dem Märit wird Wattenwil zur Festhütte, mit Beizenschluss um 3 Uhr. Bis zu diesem Zeitpunkt wird Kiener am Ball bleiben. Und dann, nach diesem längsten Tag des Jahres? Erst einmal eine tolle Mütze Schlaf. «Und dann gehts ab in die Ferien!» Marc Imboden>
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