Treffen mit Biden in den USASelenski auf dem Weg nach Washington – wie gelangte der Präsident ausser Landes?
Zum ersten Mal seit Kriegsbeginn verlässt Selenski die Ukraine. Aus dem Land führen nur wenige Wege. Möglich auch, dass er von den Amerikanern mit einem auf Radar nicht zu ortenden Militärhelikopter abgeholt wurde. Die Übersicht.

Es ist eine Reise, bei der wohl nicht nur die Ukrainer gern erfahren würden, wie sie überhaupt möglich war. Präsident Wolodimir Selenski trifft heute zum Besuch bei Präsident Joe Biden in Washington ein – und verlässt damit zum ersten Mal seit dem russischen Überfall am 24. Februar sein Land.
Der ukrainische Staatschef wird bereits an diesem Mittwoch in der US-Hauptstadt erwartet. Die US-Regierung bestätigte am frühen Mittwochmorgen (Ortszeit) entsprechende Berichte. Selenski werde unter anderem von Präsident Biden im Weissen Haus empfangen (20 Uhr MEZ), anschliessend sind eine Pressekonferenz (22.30 MEZ) und ein Auftritt vor dem Kongress geplant.
Biden will den Angaben zufolge im Zuge des Treffens mit seinem ukrainischen Amtskollegen auch bekannt geben, dass die USA der Ukraine das Patriot-Flugabwehrsystem liefern werden.
Selenski am Dienstag noch an der Front
Wer aus der Ukraine reisen oder umgekehrt nach Kiew kommen will, hat dafür gewöhnlich nur zwei gleichermassen zeitraubende Möglichkeiten: mit dem Auto oder mit dem Zug ins polnische Przemysł, nach Chełm oder nach Warschau. Auch Spitzenpolitiker Europas und der USA fuhren in den letzten Monaten in einem – freilich luxuriös ausgestatteten – Zug zu Treffen mit Selenski nach Kiew. Sie gaben ihre Reise in der Regel erst bekannt, wenn sie in der ukrainischen Hauptstadt angekommen waren.
Selenski war noch am Dienstagmorgen in Bachmut, der seit Monaten hart umkämpften Stadt an der Front in der Ostukraine, rund 1300 Kilometer entfernt von der Grenze zu Polen. Sollten die Amerikaner den Präsidenten nicht mit einem auf Radar nicht zu ortenden Militärhelikopter abgeholt haben, dürfte Selenski zuerst mit einem Autokonvoi quer durch die Ukraine nach Polen und vom nahe Przemysł gelegenen US-Militärstützpunkt mit einer US-Militärmaschine nach Washington geflogen sein. Möglich auch, dass der Präsident eine kürzere Strecke in den Norden Rumäniens wählte und dort von den Amerikanern an Bord eines Flugzeuges genommen wurde.
Seit Kriegsbeginn am 24. Februar hat Selenski sein Land nicht verlassen. Für Auftritte auf der politischen Weltbühne – etwa beim G-7-Gipfel – liess er sich stets digital aus der Ukraine zuschalten. Ins Kampfgebiet reiste der ukrainische Präsident bereits mehrmals – im Gegensatz zum russischen Präsidenten Wladimir Putin, der bislang kein einziges Mal an der Front gewesen ist.
Wozu aber der nicht ohne Risiko mögliche Besuch, den Selenski am Morgen auf Twitter bestätigte, warum zu diesem Zeitpunkt? Dass US-Präsident Joe Biden, der Selenski durchaus auch kritisch sieht, der Ukraine zum ersten Mal in diesem Krieg etwa ein hoch effektives Patriot-Raketenabwehrsystem bewilligen würde, das auch russische Marschflugkörper abschiessen kann, war schon vor dem angesetzten Treffen mit Selenski im Weissen Haus klar. Biden wird auch Präzisionsmunition für ukrainische Kampfflugzeuge bewilligen, wie US-Offizielle zuvor gegenüber der Agentur AP bekannt gaben.
Einem Briefing des Weissen Hauses zufolge lud Biden Selenski am 14. Dezember nach Washington ein. Der ukrainische Präsident wird nach seinem Gespräch mit dem US-Präsidenten auch zu den wichtigsten Mitgliedern seines Sicherheitsrats und der US-Regierung sprechen, eine Pressekonferenz geben und eine Rede vor einer gemeinsamen Sitzung von Repräsentantenhaus und Senat halten.

Besuch und Rede kommen nur wenige Tage bevor im Repräsentantenhaus die der Ukraine gegenüber teils skeptisch eingestellten Republikaner die Kontrolle übernehmen. Selenski dürfte dort für weitere schnelle Hilfe für sein Land werben. Dem Weissen Haus zufolge wird Selenskis Besuch nur wenige Stunden dauern, bevor er sich auf den Rückweg nach Kiew macht.
Weitere 44 Milliarden US-Dollar für die Ukraine
Schon am Dienstag schlugen die noch komplett unter demokratischer Kontrolle stehenden Häuser des US-Kongresses weitere Nothilfe an die Ukraine von 44 Milliarden Dollar vor, mehr noch, als Biden noch im November vorgeschlagen hatte. Es dürfte freilich nicht einfach sein, ein so gewaltiges Paket innerhalb weniger Tage zu beschliessen, bevor die Republikaner am 3. Januar die Mehrheit im dann neu zusammentretenden Repräsentantenhaus stellen.
Präsident Biden wiederum dürfte den Selenski-Besuch nutzen, um Druck auf die Republikaner zu machen. Ausserdem, so bestätigte das Weisse Haus in seinem Briefing zum Selenski-Besuch, will Biden auch zu einem noch Jahre dauernden Krieg entschlossenen russischen Präsidenten Wladimir Putin klarmachen, dass Washington die Ukraine, «so lange es nötig ist», massiv im Krieg gegen den russischen Aggressor unterstützt. Der Kreml kündigte seinerseits für Mittwoch ein Treffen Putins mit dem Militär an, bei dem «die Arbeit der russischen Streitkräfte im Jahr 2022 summiert und die Aufgaben für das nächste Jahr festgesetzt werden». (Alle News zu Putins Rede finden Sie hier in unserem Liveticker)
Flugabwehrsystem könnte die Karten neu mischen
Die USA haben die Ukraine seit Beginn des Kriegs mit milliardenschweren Militärhilfen unterstützt. Mit dem Luftverteidigungssystem Patriot dürften die Karten in der von Russland angegriffenen Ukraine Experten zufolge neu gemischt werden. Es kann Flugzeuge, Marschflugkörper, Drohnen oder Raketen auch in grösserer Entfernung abwehren. Der hochrangige US-Regierungsvertreter sagte, die ukrainischen Streitkräfte würden in einem Drittland ausgebildet. Er machte dazu keine weiteren Angaben. Naheliegend und wahrscheinlich ist, dass Ukrainer – wie auch bei anderen Waffensystemen schon praktiziert – in Deutschland ausgebildet werden, beispielsweise auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr in Bayern.
«Wir sind nicht auf einen direkten Krieg mit Russland aus.»
Moskau hatte Washington zuletzt vor einer Patriot-Lieferung gewarnt. Wie andere schwere Waffen auch würden diese Komplexe für die russischen Streitkräfte zu «rechtmässigen vorrangigen Zielen», sagte die Sprecherin des Aussenministeriums in Moskau, Maria Sacharowa, vergangene Woche. Die US-Regierung liefert bereits Mehrfachraketenwerfer vom Typ Himars oder das Flugabwehrsystem Nasams in die Ukraine.
«Wir sind nicht auf einen direkten Krieg mit Russland aus», sagte der US-Regierungsvertreter. Und daran werde sich auch mit Selenskis Besuch und der Lieferung der Patriot-Batterie nichts ändern. «Es geht darum, eine Botschaft an Putin und an die Welt zu senden, dass Amerika für die Ukraine da sein wird, so lange es nötig ist.» Der Besuch sei auch eine gute Möglichkeit für den ukrainischen Präsidenten, sich an das amerikanische Volk zu wenden.
Es ist nun Selenskis zweiter Besuch im Weissen Haus seit dem Amtsantritt von Biden. Zuletzt hatte Biden seinen ukrainischen Amtskollegen Selenski im Sommer 2021 in Washington empfangen. Bidens Regierung hatte früh öffentlich vor einem Angriff Russlands auf die Ukraine gewarnt und sich dabei auf Geheimdienstinformationen berufen. Seit dem Einmarsch in die Ukraine haben die USA und ihre Verbündeten Russland mit harten Sanktionen belegt.
Mit Material der Agenturen SDA und AFP
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