Sterne und Berge
Am Mittwoch greift YB in Moskau nach den Champions-League-Sternen. Das ist auch das Verdienst des früheren Sternenberg-Juniors Christoph Spycher. Eine Annäherung an den Sportchef.

Es war nie geplant, dass er Sportchef sein würde. Es ist logisch, ist er Sportchef.
Im Fussball steigen allerlei dubiose Figuren zum technischen Leiter eines Klubs auf. Aber wenn man einen Sportchef designen müsste, könnte man einfach Christoph Spycher nehmen. Intelligent und sozial kompetent, bestens vernetzt und umgänglich, erfahren und ruhig. Und doch dachte der Familienmensch und Vater zweier Buben in all den Jahren als Nationalspieler nie daran, noch einmal eine derart prägende Rolle im Fussball übernehmen zu wollen. «Ich möchte später nicht mehr so viel unterwegs sein», sagte Spycher mal.
Am Mittwochabend sitzt der 39-Jährige in Moskau auf der Tribüne des WEB-Stadions, wenn YB den wohl grössten Erfolg der Vereinsgeschichte realisieren kann. Er ist die wichtigste Person im rasanten Aufstieg der Young Boys seit September, als der Klub mal wieder in Trümmern lag. Die Berner Zeitung schrieb nach dem Rauswurf von Sportchef Fredy Bickel und den Querelen im Verwaltungsrat um den wirren Urs Siegenthaler: «Es braucht eine Berner Lösung mit Spycher als Hauptfigur.»
Schritt für Schritt
Im Nachhinein erscheint es logisch, stieg Hoffnungsträger Spycher vor elf Monaten vom Talentmanager zum mächtigsten Entscheidungsträger auf. Wer sonst? Hätte der einstige Sternenberg-Junior abgesagt, es wäre für YB sehr, sehr schwierig geworden, in vernünftiger Zeit wieder Glaubwürdigkeit, Ruhe, Kompetenz auszustrahlen.
Spycher überlegte, beriet sich intensiv mit seinen Vertrauten, nutzte seine starke Position und erklärte, direkt dem Verwaltungsrat und nicht dem CEO unterstellt sein zu wollen. Dann sagte er zu. Und machte sich an den riesigen Berg Arbeit. Er tat das, wie er gespielt hatte: fleissig und zielstrebig, teamorientiert und smart. Und wie ein Bergsteiger: Schritt für Schritt. Der Umbau ist längst nicht beendet.
Schon heute ist YB kaum wiederzuerkennen. Das Kader ist günstiger, jünger, entwicklungsfähiger, das Klima im Stade de Suisse fröhlicher, offener, besser, die Perspektiven des Betriebs in sportlicher und wirtschaftlicher Hinsicht erfreulich. «‹Wuschu› gibt allen das Gefühl, wertvoll zu sein», sagt einer, der lange bei YB ist. «Er hat für eine Aufbruchstimmung gesorgt und viele gute Entscheidungen getroffen.»
Er grenzt sich ab
Die Ambiance in einem Fussballbetrieb kann noch so prächtig sein, entscheidend sind die Resultate. Und auch diese passen. Spycher hat kluge Massnahmen gefällt, das teure Team ausgemistet, sich nach anfänglichen Reibereien mit Trainer Adi Hütter zusammengerauft, an den richtigen Hebeln gezogen. YB hat viel Goodwill gewonnen. Gelingt die Champions-League-Teilnahme, müsste man eigentlich eine goldene Christoph-Spycher-Statue vor dem Stade de Suisse aufstellen. Er lächelt gequält über diesen Vorschlag. Spycher mag keine Glorifizierungen. Spricht man mit ihm über seine Tätigkeit, erklärt er oft, es sei streng, aber spannend. «Langweilig wird es mir nicht.»
Christoph Spycher nennen auch mit bald 40 alle nur «Wuschu». Das hat keineswegs mit mangelndem Respekt zu tun. Einer wie er definiert sich nicht über Äusserlichkeiten. Den Spitznamen erhielt er als Bub in Oberscherli, er wird ihn vermutlich auch als Grossvater noch tragen. Es stört ihn nicht. Er ist kein Lautsprecher, grenzt sich ab, ist oft schwierig erreichbar, was Spielerberater wie Journalisten zuweilen ärgert. Andere Sportchefs sind schier rund um die Uhr bereit, Auskunft zu geben. Man kann das professionell nennen. «Wuschu» setzt Prioritäten, und wenn es wirklich wichtig ist, meldet er sich immer.
«Wer über die Gefahren redet, hat nicht erkannt, was für eine gewaltige Chance die Champions League für uns wäre.»
Knackig sind seine Aussagen selten, sondern sachlich und bodenständig, wie es seine Art ist. Geht es aber um die Champions League, setzt sich der Fussballer in Spycher kurz durch gegen den Pragmatiker. Dann sagt er: «Davon träumt jeder. Die Champions League wäre für den Verein und jeden einzelnen Mitarbeiter bei uns eine grosse Sache.» Es würde den finanziell in den letzten Jahren schlingernden Klub auf eine solide Basis stellen, der Wert der Spieler stiege durch die Auftritte in der Königsklasse, YB wäre in der Sternenliga der Giganten dabei.
Real als Realität, Merci Messi.
Aufbau nach dem Tiefschlag
Selbstredend spricht Spycher nicht über mögliche Champions-League-Erträge. Die rund 25 Millionen Franken Bruttoeinnahmen, die herumgeboten werden, lässt er unkommentiert stehen, erwähnt die vielen Abzüge, die es zu bedenken gebe, und sagt irgendwann: «Es ist zu früh, um darüber zu reden. Wir wissen noch zu wenig, wie die Einnahmen aussehen würden. Und sowieso: Wir sind ja noch nicht dabei.»
Nach dem Hinspiel gegen ZSKA vor einer Woche war auch Spycher, den man selten missgelaunt erlebt, niedergeschlagen. Ein 1:0 oder 2:0 wäre gerecht gewesen, ein 0:0 ganz okay, doch das Slapstick-Eigentor von Kasim Nuhu zerstörte die ordentliche Ausgangslage. Ausgerechnet Nuhu und Goalie David von Ballmoos, zwei talentierte Akteure, patzten auf bedeutender Bühne.
Vielleicht war das kein Zufall, aber zum Weg, den Spycher mit YB eingeschlagen hat, gibt es keine Option. «Die Jungen lernen in grossen Spielen», sagt der Sportchef. «Selbst wenn das schmerzhaft sein kann.» Er selber habe nach der unglücklichen Niederlage eine Leere verspürt, es sei eine kurze, schwierige Nacht gewesen. «Doch am Mittwoch stand ich auf, fuhr ins Stade de Suisse, wo die Verarbeitungsphase begann.»
Es geht im Fussball immer weiter. Das ist manchmal positiv, manchmal anstrengend, fast immer aber mit Chancen verbunden. Und so hält sich der anständige Spycher auch nicht lange mit den für viele unfassbaren Begleiterscheinungen des verdorbenen Milliardengeschäfts auf. «Klar, es ist zu viel Geld im Spiel. Aber man kann mit harter, vernünftiger Arbeit viel erreichen.»
Den sich abzeichnenden Abgang von Leistungsträger Yoric Ravet von YB zum SC Freiburg versteht Spycher nicht. Abstiegskampf statt Titelträume. Aber auch er zog einst von GC, mit dem er Meister geworden war, zum Mittelfeldklub Frankfurt. Natürlich nicht mitten in der Saison, das fände er ziemlich unmoralisch, aber eben doch auch in die Bundesliga.
Fussball-Bern im Fieber
Spycher hat mit seinen Mitarbeitern wie Chefscout Stéphane Chapuisat längst den Markt sondiert. «Das ist Ende August nicht so einfach», sagt Spycher. YB benötigt personelle Alternativen im strengen Herbst. Egal, ob in der Champions League oder in der Europa League. Eine Teilnahme an der Königsklasse würde die Young Boys durcheinanderwirbeln – und Fussball-Bern auf den Kopf stellen.
Der Fokus auf die Liga, in der Serienmeister Basel angreifbar wirkt, könnte verloren gehen. Als Spycher auf diese Möglichkeit angesprochen wird, blickt er einen ungläubig an. Und sagt: «Wer über die Gefahren redet, hat nicht erkannt, was für eine gewaltige Chance die Champions League für uns wäre.»
Bernerzeitung.ch berichtet ab 20.45 Uhr live vom Spiel in Moskau
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