Die erste BundespräsidentinUni Bern ehrt Ruth Dreifuss mit dem Doktortitel
Am diesjährigen Dies academicus wurde Alt-Bundesrätin Ruth Dreifuss von der Universität Bern mit dem Ehrendoktortitel ausgezeichnet.

Nach zweijähriger Covid-bedingter Pause wurde der jährliche Dies academicus, die Stiftungsfeier der 1834 gegründeten Universität Bern, am Samstag wieder im Berner Casino durchgeführt. Und auch dieses Jahr vergab die Uni Bern die höchste Auszeichnung, die Ehrendoktorwürde, an sieben Personen. Darunter an Alt-Bundesrätin Ruth Dreifuss.
Politikerinnen und Politiker wurden in den 188 Jahren der Uni-Geschichte schon mehrmals mit diesem Titel geehrt, auch ehemalige Bundesräte. Rudolf Minger etwa (BGB-Bundesrat von 1929 bis 1940) erhielt die Auszeichnung 1946. Auch Alt-Bundesrat Adolf Ogi (1987 bis 2000, SVP) wurde 2005 zum Ehrendoktor ernannt, Johann Schneider-Ammann (FDP) erhielt die Auszeichnung 2019.
«Grosses Vorbild und Symbol»
Ruth Dreifuss erhielt den Titel am Samstag von der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät. Die Laudatio hielt Adrian Vatter, Professor für Politikwissenschaft. «Mit der Einführung des Ehegattensplittings und den Erziehungsgutschriften bei der 10. AHV-Revision sowie ihrem grossen Engagement für einen bezahlten Mutterschaftsurlaub hat sie einen bedeutenden Beitrag zur Chancengleichheit der Geschlechter in der Schweiz geliefert.»
Allein schon dadurch, aber auch durch die besonderen Umstände ihrer turbulenten Wahl vor bald 30 Jahren sei sie für die nachfolgenden Frauengenerationen ein grosses Vorbild und unvergessenes Symbol.
«Ruth Dreifuss ist aber nicht nur eine Vorkämpferin für die Geschlechtergleichstellung, sondern auch der Inbegriff einer klugen, sach- und kompromissorientierten Politikerin, wie sie unsere polarisierte Konkordanzdemokratie heute nötiger denn je hätte», meinte Adrian Vatter weiter. Unbestritten sei überdies ihre Pionierrolle für eine menschenwürdige Drogenpolitik. «Der Schutz und die Besserstellung von sozial Benachteiligten sowie gesellschaftlichen Minderheiten war Ruth Dreifuss während ihrer gesamten politischen Tätigkeit ein ganz besonderes Anliegen.»
Es ist nicht ihr erster Ehrendoktortitel, den Ruth Dreifuss am Samstag erhalten hat. Solche erhielt sie bereits von der Universität Haifa und der Hebräischen Universität Jerusalem. Und vor ein paar Wochen, am 29. Oktober 2022, wurde sie mit dem Titel Doctor honoris causa von der Universität Neuenburg geehrt.
Erste Bundespräsidentin
Ruth Dreifuss wurde 1940 in St. Gallen geboren. Nach dem Handelsdiplom 1958 absolvierte sie die Genfer Sozialarbeiterschule und erlangte berufsbegleitend die Handelsmatura. 1970 schloss sie mit dem Lizentiat ein Studium in Wirtschaftswissenschaften an der Uni Genf ab. 1964 trat sie der Sozialdemokratischen Partei bei.
Nach ihrem Umzug nach Bern gehörte sie von 1989 bis 1992 dem Berner Stadtrat an. Für die Berner SP kandidierte sie 1991 für den Nationalrat, allerdings erfolglos. Zwei Jahre später, nach dem Rücktritt von Bundesrat René Felber, wählte die Bundesversammlung Francis Matthey (SP) anstelle von Christiane Brunner, der einzigen Kandidatin der SP-Fraktion. Unter Druck verzichtete Matthey auf das Amt und die SP-Fraktion nominierte mit Christiane Brunner und Ruth Dreifuss zwei Kandidatinnen.
Dreifuss wurde am 10. März 1993 gewählt. Aber ihre Wahl wurde erst durch die Verlegung des gesetzlichen Wohnorts von Bern nach Genf möglich. Die Bundesverfassung enthielt nämlich bis 1999 die Kantonsklausel, wonach zwei Bundesräte aus einem Kanton nicht zugelassen sind. 1999 wurde Dreifuss die erste Bundespräsidentin der Schweiz. 2002 trat sie zurück.
«Stolz und glücklich»
«Es freut mich sehr und ich bin stolz, dass ich die Ehrendoktorwürde von der Uni Bern erhalten habe», sagte eine strahlende Ruth Dreifuss am Rande der Veranstaltung. «Ich habe die Hälfte meines Lebens in Bern verbracht und hatte immer sehr gute Beziehungen zur Uni Bern. Glücklich bin ich auch, dass ich diesen Titel nach Alt-Bundesrat Ogi noch erhalten habe.» In Bezug auf ein anderes Thema, nämlich die bevorstehenden Bundesratswahlen, war sie hingegen nicht gesprächig. Ihre Antwort auf alle Fragen: «Kein Kommentar!»
In einer früheren Version dieses Artikels bezeichneten wir Ruth Dreifuss als Ehrendoktorandin. Richtig ist natürlich Ehrendoktorin.
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