Warum sich der Vaterschaftsurlaub auszahlt
Bundesrätin Sommaruga plant einen neuen Vorstoss für den Vaterschaftsurlaub. Ihre Erfolgsaussichten sind düster. Dabei wäre die Idee nicht nur gesellschaftlich, sondern auch ökonomisch sinnvoll.
Die zwei sozialdemokratischen Bundesräte begeben sich auf einen sozialpolitischen Sisyphus-Pfad: Justizministerin Simonetta Sommaruga will sich für einen Vaterschaftsurlaub starkmachen. Innenminister Alain Berset lässt einen erweiterten Elternurlaub derzeit prüfen. Beide können sich darauf einstellen, dass der Stein, den sie da den Hügel hinaufstossen, bald wieder ins Tal rollt.
Denn wenn es ums Kinderkriegen geht, sind die Schweizer die Amerikaner von Europa: Familiengründung ist Privatsache. So was machen wir hierzulande nebenher, in der Freizeit, nach Feierabend und mit eigenem Geld. Meistens machen es ohnehin die Frauen. Wenn sie sich das nicht Vollzeit als Hausfrauen leisten können – ein Hausschlüssel an der Halskette hat noch keinem Kind geschadet.
Ängste vor dem Kinderkriegen
Immerhin führte das Volk 2004 eine Mutterschaftsversicherung ein. Eine im internationalen Vergleich zwar bescheidene Variante, finanziert von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Doch dass das damals klappte, lag wohl vor allem an den vollen Erwerbsausfallkassen. 1999 war eine Mutterschaftsversicherung noch hochkant abgelehnt worden. Und heute sähe es für sie an der Urne wohl ebenso düster aus.
Das zeigte eine Umfrage vom März, die – siehe oben – in Zusammenarbeit mit der US-Botschaft durchgeführt worden war und die tief sitzenden Ängste der Arbeitnehmer vor Elternschaft offenbarte: Zwei Drittel der Schweizer sind demnach überzeugt, dass ein Kind sich negativ auf die Karriere einer Frau auswirke. Bei den Frauen sind sogar 89 Prozent dieser Meinung. Umgekehrt glauben nur 18 Prozent der Männer, dass sie ein Kind am beruflichen Fortkommen hindert.
Verantwortlich für diese Kinderskepsis ist die Babypause. Die Frauen dürfen sie heutzutage wahrnehmen – sie müssen es, quasi, weil nur sie dafür Geld bekommen. Und die Männer dürfen dann aus erster Hand beobachten, wie die Karriere ihrer gut ausgebildeten Frauen einen Vollstopp macht. Es sei denn, diese Frauen haben einen toleranten Arbeitgeber. Oder genug Geld für eine Nanny.
«Eine Reihe von Nutzen»
Ein tödliches politisches Klima für die Idee eines Vaterschaftsurlaubs. Darum wird es weitergehen mit der unsäglichen Verschwendung weiblicher Fähigkeiten. Immerhin gibt die öffentliche Hand heute jährlich über 15 Milliarden Franken aus für die Bildung von Frauen und Mädchen. Konsequenterweise müssten Gegner eines Vaterschaftsurlaubs diese Gelder reduzieren oder streichen lassen.
Sogar die Industrieländer-Organisation OECD, nicht bekannt als sozialistischer Club, befand vor zehn Jahren, familienfreundliche Politik habe «eine Reihe von Nutzen für die Gesellschaft», und nannte als Erstes «sicherere Einkommen» und erst dann Gleichberechtigung und Kindesentwicklung.
Auch derzeit gewinnt man mit rein gesellschaftlichen Argumenten keinen Blumentopf. Dieselben Kreise, die gern über die Wichtigkeit traditioneller Familienstrukturen predigen, wenn es darum geht, Single-Mütter abzukanzeln oder homosexuellen Paaren eine Adoption zu verwehren, ignorieren die Rolle des Vaters, sobald es kostet. Obwohl eine wachsende Zahl von Studien die Folgen dessen beleuchtet, was der Psychoanalytiker Horst Petri «Das Drama der Vaterentbehrung» nannte.
Die «Familien AG» spart mit Vaterschaftsurlaub
Lassen wir also das Drama. Handfeste Vorteile sollten reichen – und die sind erheblich. «Es gibt Berge von Studienmaterial, das den Nutzen einer väterfreundlichen Personalpolitik belegt», sagt Markus Theunert, Präsident von Männer.ch, dem Dachverband der Schweizer Männer- und Väterorganisation: «Mehr Output, mehr Effizienz, weniger Fehltage, weniger Fluktuation und generell höhere Loyalität dem Betrieb gegenüber.»
Migros, Post, Novartis, Raiffeisen und Volkswirtschaftsdepartement rechneten das 2005 in Franken und Rappen durch. Sie führten eine Modellrechnung durch für eine Firma* von 1500 Mitarbeitern mit einer Personalstruktur, wie sie dem Schweizer Durchschnitt entspricht. Diese theoretische «Familien AG», wie sie genannt wird, hilft ihren Mitarbeitern mit Kindern bis 12 Jahren mit Beiträgen an den Kinderbetreuungsplatz, mit Elternzeit nach der Geburt von bis zu sechs Monaten (bezahlt aus Mutterschaftsurlaub, Überstunden, Plusstunden oder Ferientagen), flexibler Arbeitszeit – und fünf bezahlten Vaterschaftstagen.
Ein grosszügiges, teures Paket, also. Nun muss jedes Unternehmen damit rechnen, dass Mütter nicht mehr aus dem Mutterschaftsurlaub zurückkommen, weil sie kündigen. Oft, weil das Unternehmen sich nicht genug um ihre Wiedereingliederung bemüht. Das kostet ebenfalls. Die Studie kommt zum Schluss, dass eine 1500-Kopf-Firma trotzdem unter dem Strich bis zu 693'300 Franken im Jahr einspart mit einer familienfreundlichen Betriebspolitik. Hinzu kommt, dass diese Politik auf dem Markt bei der Rekrutierung neuer Mitarbeiter hilft. Bei einer Fluktuation von 150 Mitarbeitern im Jahr lohnt sich das für die «Familien AG» zusätzlich. Insgesamt würde die 1500-Kopf-Modellfirma 1'059'400 Franken im Jahr einsparen.
Skandinavische Frauen fallen zurück
Aber nicht nur Firmen fahren im Vergleich besser mit einer guten Familienpolitik, auch Länder verschaffen sich einen Vorteil, wie ein Vergleich der OECD zeigt. Die Staaten mit den weltweit längsten Mutterschafts-, Vaterschafts- oder Elternauszeiten gehören zu den reichsten der Welt: Schweden, Finnland, Norwegen, Dänemark. Die USA, in denen nur einzelne Bundesstaaten über Elternzeit-Regelungen verfügen, gleichen dieses Manko immerhin mit grosszügiger Subvention von Krippenplätzen aus.
Nur: Solange Väter, aus Angst oder Unwille, nicht mitziehen, entstehen für Frauen neue Probleme. Der OECD-Vergleich zeigt, dass Elternzeit, die praktisch nur von der Mutter wahrgenommen wird, die skandinavischen Frauen in ihrer Stellung auf dem Arbeitsmarkt zurückwirft. Das lasse sich auch in der Schweiz beobachten, fand SVP-Familienpolitikerin Judith Uebersax letztes Jahr im «Beobachter»: «Deshalb haben sich die Frauen mit der Mutterschaftsversicherung auch keinen Gefallen getan.» Womit die Diskussion wieder an ihrem Ausgangspunkt ist.
Neue parteiübergreifende Idee?
Männer-Vertreter Markus Theunert hofft, mit einem neuen, parteiübergreifenden Väterzeit-Modell die politische Blockade zu durchbrechen: «Es ist ein Drei-Säulen-System. Die erste Säule wäre eine nationale Solidarlösung. Die zweite Säule ist eine Betriebslösung. Und die dritte Säule wäre eine steuerbegünstigte Sparlösung.» Sparen für den Vaterschaftsurlaub. Der Nenner ist immerhin klein genug, dass sich Politiker von SP, FDP und sogar SVP dafür gewinnen liessen. Das Innendepartement schickte dazu seinen Bericht auf den Weg. Sein Ergebnis Ende Jahr wird den weiteren Weg weisen.
Wie mahnte Thérèse Meyer, Präsidentin der Eidgenössischen Koordinationskommission für Familienfragen? Es brauche «eine Politik der kleinen Schritte». Auf Englisch nennt man das: «baby steps».
*In einer früheren Fassung war irrtümlicherweise von einem KMU die Rede. Doch KMU sind per Definition nicht grösser als 250 Mitarbeiter.
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