Weltweites Game-Fieber neu entfacht
Auf diesen Tag haben die Suberger Ferry und Nick Kölliker lange gewartet. Seit Dienstag ist die Neuauflage des bekanntesten Videospiels der Welt online: «World of Warcraft Classic». Dem Freundeskreis aus dem Seeland geht es aber um weit mehr als nur um das Zocken.

An der Wilerstrasse in Suberg fühlt man sich in der Zeit zurückversetzt. Malerische Bauernhäuser säumen die Strasse, der Lyssbach fliesst gemächlich unter der Brücke durch, und vor dem geistigen Auge sieht man fast schon die Pferdekarren von anno dazumal vorbeiziehen, wie sie den Dünger der Firma Hauert abtransportieren.
Heute jedoch ist es eine ganz andere Art Nostalgie, die sich dort, auf einem der alten Bauernhöfe, breitmacht. Im Erdgeschoss des Hauses an der Wilerstrasse 2, verborgen hinter zwei Holztüren, in einem quadratischen Raum, sitzt eine Gruppe Männer an Computern. Vor ihnen auf dem Bildschirm stehen bunte Figuren – Gnome, Zwerge, Orks. Per Mausklick ändern sich Frisur, Haarfarbe und Gesichtszüge der Fantasiewesen.
Marc-Ferry Kölliker, genannt Ferry, und sein Bruder Nick sitzen nebeneinander, ihre Freunde – die Mieter des Bauernhauses – an den beiden Schreibtischen gegenüber. Das Erstellen der Figuren gehört zu den letzten Handgriffen, die sie tätigen, um sich auf den grossen Tag vorzubereiten; ab Dienstag spielen sie wieder «World of Warcraft», auch WoW genannt: das wohl bekannteste Videospiel der Welt. Für die Kölliker-Brüder bedeutet dies aber mehr alsnureine gewöhnliche Runde Zocken unter Freunden. Es ist ein Tag,auf den sie alle schon seit über ein Jahr gewartet haben.
Lange Nächte
Ab Dienstag veröffentlicht der Spieleentwickler Blizzard eine neue Version seines Erfolgstitels «World of Warcraft». Wobei: Wirklich neu ist daran für Köllikers und ihre Freunde wenig. Es handelt sich nicht um eine Erweiterung des Spiels, wie es sie in all den Jahren immer wieder gab, sondern um eine Neuauflage der ersten Version von 2005 – jenes Spiel, dem Köllikers bereits vor 15 Jahren verfallen waren.

«Ich kann mich noch gut an die vielen Abende erinnern, die wir damals gemeinsam online verbracht haben», meint Ferry Kölliker. Mit einem Grinsen auf den Lippen erzählt der 37-Jährige von langen Nächten, in denen er sich mit seinen Freunden durch virtuelle Höhlen gekämpft hat.
Auch für den jüngeren der beiden Kölliker-Brüder, den heute 30-jährigen Nick, hat «World of Warcraft» immer einen besonderen Stellenwert besessen: «Ich habe zwar seither viele verschiedene Spiele anprobiert. So sehr in den Bann gezogen wie WoW hat mich aber keines.»
«Es geht um die Nostalgie – darum, das Gefühl von früher wieder zu erleben.»
Sich in der Gruppe einem Abenteuer stellen, die virtuelle Welt des Spieles erkunden und seine Figur dabei weiterentwickeln lassen – das ist es, was für WoW-Spieler die Faszination ausmacht. Es ist ein Hobby, ähnlich wie Fussball: Nur gemeinsam kommt man voran, Teamarbeit ist genauso wichtig wie der Spass.
Als das Unternehmen Blizzard vor zwei Jahren ankündigte, man wolle den Klassiker – das unverbrauchte, unveränderte «World of Warcraft» von damals – zurückbringen, teilten weltweit Hunderttausende Menschen die Begeisterung: Kaum ein anderes Videospiel hat so viele Anhänger. Laut Blizzard haben über 100 Millionen Menschen das Spiel in ihrem Leben schon mal gespielt, aktiv würden sich immer noch um die 2 Millionen Spieler jeden Tag an ihren Rechner setzen, um in die Haut von Magiern und Kriegern zu schlüpfen.
Mit dem früheren Spiel könne man das heutige «World of Warcraft» nicht vergleichen. Viel zu gross sei es geworden, viel zu stark habe es sich verändert.Seit der Veröffentlichung im Jahr 2005 kamen sieben verschiedene Erweiterungen dazu: neue Kontinente, neue Völker, ein höheres Level der Figuren.
Und viele Änderungen an der Spielmechanik selbst, die auch die Seeländer eher als Verschlechterung empfanden. «Mit dem WoW von früher hat das nicht mehr viel zu tun», sagt etwa Nick Kölliker. Viele Spieler wünschen sich deshalb die Einfachheit von früher wieder zurück– damals, als schon ein einfacher Levelaufstieg ein Erfolgserlebnis war.
Erst der immer stärker werdende Druck dieser Fans hat den Entwickler Blizzarddazu bewogen, die ursprüngliche Version wieder zurückzubringen. Die Kölliker-Brüder gehören nun zu einer riesigen Gruppe weltweit, die davon profitiert. «Dass wir das Spiel noch gut von früher kennen, macht uns wenig aus», meint Ferry Kölliker, «es geht vielmehr um die Nostalgie – darum, das Gefühl von früher wieder einmal zu erleben.»
Alte Freunde
Das Bauernhaus in Suberg ist heute gewissermassen auch ein Tor zur Welt: Obwohl nur vier Männer darin sitzen, ist ihre Gruppe weitaus grösser. Über Kopfhörer und Mikrofon sind Köllikers mit anderen Spielern verbunden – hauptsächlich Menschen aus Deutschland, mit denen sie schon vor 15 Jahren gespielt haben. «Eigentlich ist es ein Wiedersehen mit alten Freunden», sagt Ferry Kölliker.
Als bekannt wurde, wann WoW Classic genau rauskommt, hat Ferry Kölliker angefangen, die Gruppe von früher wieder zusammenzutrommeln. Alte Handynummern wurden hervorgesucht, eingeschlafene Whatsapp-Chats reaktiviert. «Das war für mich irgendwie logisch», erklärt er, «wenn ich das alte Gefühl von früher wieder haben will, brauche ich dafür auchdieselben Leute.»
Seine damaligen Mitspieler musste er nicht lange bitten – auch sie freuten sich auf die Neuauflage des alten Spiels. Und: Immer mehr Menschen gesellten sich dazu. Männer und Frauen, die teilweise noch nie ein Videospiel gespielt haben. So kam eine stolze Gruppe zusammen; zu den 15 Jungs aus dem Seeland gesellen sich ganze 60 Leute aus Deutschland.
Ferry Kölliker ist aber nur eines der Zugpferde hinter der Gruppe, die sich «Brauhaus Steinfeuer» nennt – eine Anspielung auf das wohl bekannteste Gasthaus in der digitalen Welt von «World of Warcraft». Mit Begeisterung erklärt Kölliker die Struktur der Gilde, wie solche Zusammenschlüsse innerhalb eines Videospiels genannt werden.
Auf grossen Postern hat der zweifache Vater alles festgehalten, die Namen der Mitglieder, die Verhaltensregeln in der Gilde, die Aufgaben der Führungsmitglieder. Während er erklärt, sitzt sein jüngerer Bruder daneben und lächelt: «Ferry ist ein Perfektionist. Wenn ihm etwas wichtig ist, macht er es richtig.»
Das Zusammensein
Mit wie viel Elan die Gruppe rund um die Gebrüder Kölliker dabei ist, zeigt sich im ganzen Zimmer, welches sie extra für«World of Warcraft» eingerichtet haben: Auf dem alten Kamin im Eingang stehen die Spielhüllen aufgereiht, über einem der Computer hängt eine Leuchtreklame mit dem WoW-Logo.
Und die gesamte hintere Wand wird von einer riesigen Karte des Spielgebiets eingenommen.Aus einzelnen A4-Blättern haben Köllikers und ihre Freunde diese angefertigt, die wichtigsten Orte sind bereits pinkfarben eingetragen.
Die Seeländer kennen sich schon lange, sind eng befreundet. Beim Zocken gehe es deshalb auch stark um das Zusammensein. Mit den Jugendlichen von damals haben sie nicht mehr viel gemeinsam: Heute sind alle berufstätig, haben Familie. Das allwöchentliche Spielen am Dienstagabend sei deshalb ein willkommener Männerabend – und auch ein wenig eine Flucht in die Vergangenheit.
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