Wie ein Berner Fan vor den EM-Krawallen flüchtete
Wüste Ausschreitungen überschatteten am Samstag in Marseille das EM-Spiel zwischen England und Russland. Mittendrin: ein Berner Fussballfan, der sich in letzter Sekunde vor den russischen Hooligans in ein Restaurant retten konnte.
Fliegende Fäuste. Blutüberströmte Fans. Zerstörte Strassencafés. Bereits am zweiten EM-Tag war es am Samstag in Marseille zu wüsten Ausschreitungen zwischen russischen und englischen Hooligans gekommen. Die Bilanz: Dutzende Verletzte, einige von ihnen schwer.
Die Krawalle hautnah miterlebt hat auch Thomas G.* aus der Region Bern. Der 39-Jährige hatte sich für den EM-Kracher zwischen England und Russland ein Ticket ergattert und reiste deshalb am Samstag für weniger als 24 Stunden nach Marseille.
Gäste versteckten sich im Restaurant
Was er dort während seines kurzen Aufenthalts vor, während und nach dem Spiel mitbekam, dürfte der langjährige YB- und SCB-Fan so schnell wohl nicht mehr vergessen. «Krawalle in dieser Dimension habe ich noch nie erlebt», sagt der Berner.
Angefangen hatte der denkwürdige Tag für Thomas G. im Hard Rock Café in der Nähe des alten Hafens, wo er sich das Nachmittagsspiel zwischen der Schweiz und Albanien anschaute.
Als er nach Spielschluss nach draussen gehen will, wird im Café auf einmal der Rollladen heruntergelassen. «Die haben alles dichtgemacht, weil es draussen losging», erzählt er.
Schläger überraschten Engländer beim Essen
Russische Schlägertrupps von rund 200 Mann hätten Engländer und Zivilisten beim Essen überrascht und alles kurz und klein geschlagen. «Ich habe gesehen, wie Stühle und Tische durch die Luft geschleudert und Flaschen als Wurfgegenstände verwendet wurden.»
Regelmässig hätten die Mitarbeiter des Hard Rock Cafés den Rollladen einen Meter nach oben gezogen, damit Flüchtende oder Verletzte Einlass fanden. «Darunter waren blutüberströmte Engländer, aber auch normale russische Fans.» Nach etwa 20 Minuten sei der Spuk vorbei gewesen.
«Die Jagd ging plötzlich wieder los»
Allerdings nur vorerst. Als Thomas G. später mit der Metro zum Stadion fährt, nehmen die Krawalle in der Nähe der Metrostation ihren Lauf. «Aus dem Nichts ging an einer nahegelegenen Kreuzung die Jagd plötzlich wieder los. Hunderte Engländer, aber auch normale Russen sind Richtung Stadion gerannt.»
Die Polizei habe zwar Tränengas eingesetzt, insgesamt sei der Einsatz der Sicherheitskräfte aber ungenügend gewesen. «Ich werde den Eindruck nicht los, dass die Polizei fast nur die Aufgabe vor Augen hatte, den Terror zu verhindern und Hooliganismus gar nicht so das Thema war.»
«Engländer wurden nicht genug geschützt»
Im Hafengebiet habe es zwar viel Polizei gehabt, sie habe aber zu lange nicht eingegriffen. «Sie haben die Engländer nicht ausreichend geschützt», ist der Berner überzeugt.
Im Stadion selber erlebt Thomas G. dann einen ruhigen und friedlichen Match – bis nach dem Schlusspfiff auf der gegenüberliegenden Tribüne die russischen Hooligans einen anderen Sektor stürmen und Fans attackieren.
«Nach meiner Vermutung haben die russischen Schlägertrupps nicht den englischen Block angegriffen, sondern einen neutralen Block, der aber fest in englischer Hand war», sagt der 39-Jährige. Im angegriffenen Sektor habe es auch Russen gehabt.
Jugendliche mit Eisenstangen bewaffnet
Nach dem Spiel will Thomas G. in einem Pub die Zeit bis zu seiner Heimreise überbrücken, da sein TGV in die Schweiz bereits um 6 Uhr morgens fährt. «Aus Angst vor weiteren Ausschreitungen war in der Innenstadt aber alles geschlossen.»
Also spaziert er durch die Innenstadt und wartet darauf, bis es Morgen wird. Aus der Distanz nimmt er immer wieder kleinere Scharmützel wahr. «Gegen 3 Uhr begegnete ich auf dem Weg zum Bahnhof dann noch einheimischen Jugendlichen mit Eisenstangen in der Hand.»
Um 6 Uhr ist der Kurztrip nach Marseille schliesslich vorbei und er verlässt die Stadt wieder in Richtung Bern. Im Gepäck: die Erinnerungen an ein einmaliges EM-Spiel, aber auch an fliegende Stühle, verletzte Menschen und Polizeisirenen.
Nicht nur Gewalt erlebt
Trotz des getrübten Fussballfests bereut Thomas G. seinen Kurz-Besuch in Marseille nicht. Nebst den Krawallen habe er x-tausend Engländer, Russen und Passanten erlebt, die gemeinsam und ohne gegenseitige Anfeindungen gefeiert hätten.
«Es muss festgehalten werden, dass die Krawalle nur von einer kleinen Minderheit kam», so der Berner. Aber: «Die unschönen Dinge waren schon sehr krass und in einer Dimension, wie es schlicht nicht sein darf.»
*Name von der Redaktion geändert
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