Literaturfestival «lit» im TojoZum Lebensglück fehlt noch ein richtig fetter Polstersessel
Wenn der Brotjob die Texte beeinflusst: Die dritte Ausgabe des Literaturfestivals «lit» bringt an zwei Abenden Studierende und Ehemalige des Literaturinstituts zusammen.

Wenn jemand literarisch mit Sprache arbeitet und daneben als Produkttexter für den E-Commerce: Befruchten sich da beide Gebiete gegenseitig? «Oh ja», bestätigt Sagal Maj Comafai, «jemandem zum 7000. Mal in wenigen Sätzen ein Sofa schmackhaft machen hat auch was Absurdes und durchwegs Lyrisches.»
Der 28-jährige Innerschweizer Sagal Maj Comafai tritt am ersten Abend des Literaturfests «lit» auf – und nein, ein Sofa anpreisen wird er nicht. Das Festival ist nach einem dreijährigen Corona-bedingten Unterbruch mit seiner dritten Ausgabe am Start. Auf zwei Tage verteilt, präsentieren je vier aktuelle und ehemalige Studierende des Schweizer Literaturinstituts in Biel eigene Texte.
«Was man zu sagen hat, in endlosen Aneinanderreihungen von Worten zu formulieren, ist für mich auch nicht wirklich Kunst.»
Sagal Maj Comafai hat zuerst Philosophie in Zürich und dann literarisches Schreiben in Biel studiert. Irgendwann habe er bei Walter Moers den Satz gelesen: «Dicke Bücher sind dick, weil der Autor keine Zeit hatte, sich kurz zu fassen.»
Er konnte dieser Erkenntnis nur vehement zustimmen, zog daraus seine Schlüsse und nennt seither seine bereits in diversen Literaturzeitschriften erschienene Kurzprosa «philosophische, lyrische und erotische Short-Genre-Literatur». Man solle doch bitte ehrlich sein bei der Frage, wie viel man denn wirklich zu erzählen habe, findet Sagal Maj Comafai. «Was man zu sagen hat, in endlosen Aneinanderreihungen von Worten zu formulieren, ist für mich auch nicht wirklich Kunst.»
Weg mit dem Ekel
Ob nun alle acht Auftretenden am «lit»-Festival wirklich Kunst abliefern, das mag auch Andri Bänziger nicht entscheiden. «Mein Ziel war ein möglichst abwechslungsreiches Line-up mit Prosa, Lyrik, Spoken Word», sagt der 31-jährige Berner. Er ist selber Absolvent des Literaturinstituts und als Kurator für das Programm zuständig. «Das Format ist simpel: vier Stimmen in einer Stunde.»
Wichtig ist Bänziger die Durchmischung von jetzigen Studierenden und Ehemaligen: «Niederschwellige Auftrittsmöglichkeiten sind notwendig, damit junge Autorinnen und Autoren erste wacklige Schritte tun und Erfahrungen sammeln können.»
Andri Bänziger hat seinen ersten Roman bereits publiziert. In seinem Debüt «Gegen Gewicht» (2021, Verlag Die Brotsuppe) schrieb er, der auch als Behindertenbetreuer arbeitet, über ein Kind mit Trisomie 21 – eine eindringliche Geschichte, welche die Grenzen zwischen Wahnsinn und Normalität, Gesundheit und Krankheit auslotet. Sein zweiter Roman wird im kommenden Herbst erscheinen. Es sei ein sehr persönlicher Text, sagt Bänziger, der selber auch am «lit»-Festival liest, «es geht um die Transformation von negativen Gefühlen wie Ekel, Scham, Misstrauen».

Eine Art Transformation, ein «Einschleichen» der Sprache seines Brotberufs in seine literarischen Texte, erlebt auch Sagal Maj Comafai immer wieder. «Ich möchte als lesende Person sofort abgeholt und mit Fantasien verwöhnt werden.» Und – wird er mit seinen literarischen Texten diesem Anspruch gerecht? Zwei seiner Kurzgeschichten werfen Schlaglichter auf die Zumutungen von Videokonferenzen – da übernimmt angesichts mühseliger Vorstellungsrunden das alarmierte «Reptiliengehirn» des Erzählers reflexartig die Kontrolle über dieses «Hundeleben».
Dänisch für Anfänger
Lesen wird Sagal Maj Comafai unter anderem auch Texte, die gemischt sind mit fremdsprachlichen Versatzstücken. Eine Kurzgeschichte beginnt mit einem Satz, der durchaus auch als Werbeangebot verstanden werden kann: «Mit der Ikea Family Card ist der Kaffee unter der Woche gratis.»
Was folgt, ist der extrem verknappte Dialog eines eher unbehausten Paars, das dort einkauft und seine Wohnwünsche – vor allem Deckenleuchten – immer mit den (Werbe-)Sätzen einer imaginären dänischen Freundin abgleicht. Eine Glücksverheissung kann zum Beispiel so klingen: «Fede, tykke sole. Polstret.» Ein richtig fetter Polstersessel also.
Das dosiert mehrsprachige Festival selbst ist auf mehreren Kanälen präsent. Ergänzend zu den Lesungen wird Radio Rabe am 3. und 4. Februar mittags jeweils kurze Textaufnahmen der Lesenden senden, zudem erscheint im Reitschule-Magazin «Megafon» eine doppelseitige Literaturbeilage. «Doch», sagt Kurator Andri Bänziger, «die Idee hat sich entwickelt vom süssen kleinen Baby bis zum jetzt schon etwas frechen Teenager. Mal schauen, wo das noch hinführt.» Ja, mal schauen.
Tojo Theater Reitschule, Bern, 3. und 4. Februar, jeweils 20.30 Uhr
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